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Ursula Hentschläger, Dmitri Verdianu - Abstrakt Konkret: Zeitgenossinnen. Und Genossen.

In Anlehnung an Ursula Hentschlägers frühere Arbeiten scheint der Begriff der Zeitgenossenschaft als erster Hinweis auf die Gemeinsamkeit der Arbeiten von Ursula Hentschläger und Dmitri Verdianu hilfreich, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben. Sie sind jedenfalls Nutzer:innen der selben Zeit. In den frühen 1980er Jahren lag das Credo der Kunst in der Neuerfindung der Welt und der Teilhabe an der Avant-Garde. Die aktuelle künstlerischen Praxis scheint aber nicht das Neue zu schöpfen (wobei durchaus kritisch zu fragen wäre, ob es „das Neue“ jemals gegeben hat), sondern das schon Gewesene aufzugreifen, neu zusammenzusetzen, es zu re-computieren und zu interpretieren. Das ist der zweite Hinweis auf die Gemeinsamkeit der beiden Künstler:innen. Sie schöpfen aus einem reichen Fundus der Kunst-, Natur- und Mediengeschichte, den sie auf ihre je eigene Art und Weise zerlegen und wieder zusammensetzen und solcherart etwas schaffen, das zwar nicht neu, aber trotzdem bislang ungesehen war – und das obwohl es ihre Bezüge und Beziehungen nicht verleugnet.

Abstraktes wird damit konkret, denn was den Künstler:innen an der Welt aufgefallen ist (Abstraktion) wird durch die künstlerische Handlung dargestellt (Konkretisierung). So ist alles, was Sie hier sehen, der Fall; es ist Struktur und Form. Erstere ist in den Arbeiten der beiden Künstler:innen nicht unähnlich – einerseits die Strukturen in Hentschlägers Tableaus, die durch die digitale Bearbeitung von Fotografien aus der Natur entstehen, die andererseits bei Verdianu im Stein selbst enthalten sind, die er durch das sorgfältige Abschleifen und Polieren an die Oberfläche holt. Während aber Verdianu in seiner Behandlung die raue amorphe Struktur des Materials in eine reduzierte, geometrisch klare Form bringt, lösen sich bei Hentschlägers digitaler Manipulation die Formen wiederum auf; sie beginnen zu fließen, durchdringen einander, imitieren Natürlichkeit. In beidem löst sich die Gegensätze zwischen natürlich und künstlich und zwischen organisch und technisch auf. Das ist aber nur möglich, weil eine Handlung im Spiel ist, also eine Hand, die die Grenzen verwischt. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Hand nun zeichnet, malt, hämmert, schleift, poliert, den Auslöser einer Kamera bedient oder mit der Computermaus Files in der digitalen Domäne bearbeitet.

Und noch ein drittes verbindet beide Künstler:innen. Die Tatsache, dass sie ihr Ausgangsmaterial in der Natur finden. Bei Dmitri Verdianu sind es Steine. Es lässt sich aber nicht aus jedem Stein alles machen. Der Künstler kennt die jeweiligen Beschaffen- und Eigenheiten genau und nimmt in der Bearbeitung darauf Rücksicht. Er arbeitet mit den natürlichen Vorgaben seines Mediums und nicht gegen sie. So kann er den Stein in eine Form bringen, die diesem als Potentialität schon von vornherein eingeschrieben ist. Es ist ein neuropsychologisches Faktum, dass unser Gehirn automatisch nach dem nächstliegenden analogen Bild sucht. Dass die Formen in dieser Ausstellung also an Vögel erinnern, ist nur auf den ersten Blick selbstverständlich, denn an sich bleiben die Skulpturen geometrisch geformte Steine. Interessant ist allerdings die Assoziation, die Leichtigkeit der Vögel im Gewicht des Steins zu materialisieren. In welche Lüfte sollte sich ein solcher steinerner Vogel erheben können, selbst wenn er es wollte?

Nachdem Ursula Hentschläger sich in der Vergangenheit mit den Elementen Feuer und Wasser beschäftigt hat, sind seit zwei Jahren ausschließlich Bäume ihr Ausgangsmaterial und so zeigen die Bilder in der Ausstellung (mit einer Ausnahme) Fotografien von Bäumen, die digital bearbeitet wurden. Im Eingangsbereich hängt eine Baumkrone, im nächsten Raum sind Birkenrinden zu sehen und die beiden großen Triptychen und einige kleinere Formate sind das Ergebnis einer Wurzelstockfräsung. Nahaufnahmen spielen für Hentschläger eine entscheidende Rolle, da sie die Mikrostrukturen als eigene Welt begreift, die ein spezielles Darstellungspotenzial hat. Damit folgt sie in gewisser Weise einer Anweisung Leonardo da Vincis an seine Schüler, sie mögen aus den Flecken einer feuchten Wand oder der Asche ihre Bilder und Motive finden.

Aufgrund der Erfahrung des puren Gewaltaktes einer Wurzelstockfräsung hat Ursula Hentschläger diese Werkserie „Schlachtfeld“ genannt. Das gibt doch zu denken angesichts der Tatsache, dass sich unsere Welt mehr und mehr in ein Schlachtfeld verwandelt. Sei es durch kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Menschen und Menschen; sei es durch entwürdigendes Verhalten gegenüber anderen Spezies; sei es durch unseren ausbeuterischen Umgang mit der Natur oder durch kannibalistische Strategien großer Konzerne und Firmenkonglomerate, die zur Erreichung von Profit und Gewinnmaximierung nicht nur sprichwörtlich über Leichen gehen. All das bedeutet nichts Gutes für die Zukunft der Menschheit. 

Es ist ein Schlachtfeld, ja – und mittendrin sitzen Dmitri Verdianus steinerne Vögel und blicken nach oben, als ob sie das alles nichts angehen würde. Damit haben sie wohl auch recht, denn es sind die Menschen, deren Existenz auf der Kippe steht. Der Planet Erde und mit ihm eine wie immer geartete Natur wird zweifelsfrei überleben. Hoffentlich werden auch in Zukunft noch Vögel dasitzen, nach oben blicken und sich ihres Lebens freuen. Das fände ich doch einen tröstlichen Gedanken.

Mehr Texte von Martin Breindl

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Ursula Hentschläger, Dmitri Verdianu - Abstrakt Konkret
09.09 - 08.10.2023

Galerie grenzART
2020 Hollabrunn, Sparkassegasse 1
http://www.grenzart.org/
Öffnungszeiten: Fr 15-18, Sa, So + Feiertag: 10-12 h


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