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Gundula Schulze Eldowy: Schattenwinde. Berlin und der Osten 1979-1990: Die Welt schauen

„Meine Anschauung ist es, die Welt anzuschauen“. Man nimmt der freundlichen Dame mit den großen, ausdrucksstarken Augen diese Aussage sofort ab, so wie sie da in geblümtem Kleid mit Strohhut in ihrer Ausstellung steht. Mit offenem Blick geht Gundula Schulze Eldowy durch die Welt. Mit einer Auswahl aus zwei ihrer Fotozyklen aus den 1980er und 1990er Jahren ist die Fotografin nun erstmals in Österreich im temporären Ausstellungsraum des Fotoarsenal Wien im Museumsquartier zu sehen.

Geboren 1954 in Erfurt, ging Gundula Schulze Eldowy 1972 nach (Ost-)Berlin und studierte von 1979 bis 1984 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Seit Beginn ihrer Auseinandersetzung mit der Fotografie orientierte sie sich am nüchternen Realismus der „Straight Photography“, die in den USA von Fotografen wie Paul Strand oder Ansel Adams, in Deutschland von August Sander begründet wurde. Eine besondere Freundschaft entfaltete sich zwischen ihr und dem deutsch-schweizerischen Fotografen Robert Frank, den sie 1985 in Ost-Berlin kennenlernte. Nach der Wende lebte sie ab 1990 eine Zeit lang bei ihm in New York.

Auch wenn sich Gundula Schulze Eldowy an der strengen Sachlichkeit orientierte, sind ihre Aufnahmen von großem Respekt vor ihren Modellen und einer besonderen Liebe zur Schöpfung durchdrungen. Für ihre Aufnahmen von Arbeitern im Stahlwerk recherchierte sie tagelang ohne Kamera vor Ort, sprach mit den Menschen, konnte ihr Vertrauen gewinnen. Sie saß im Hörsaal für Anatomie, genauso wie im Kreißsaal, durchstreifte einen Schlachthof, ging zu Beerdigungen und Kostümfesten. Das Ergebnis sind Fotografien von schonungsloser Realität, Abbildungen geschundener Körper, voll Blut, Tod und neuem Leben; irgendwo dazwischen steht ein Kind mit Engelsflügeln aus Karton mit einem Blick, der alles zuvor Gesehene miteinschließt. Dennoch bewahren alle Modelle, sogar das ausgemergelte Schaf vor der Schlachtung ihre Würde - der nackte Mann auf dem Sofa genauso wie der traurig blickende Volkspolizist in Uniform beim Kostümfest. Gundula Schulze Eldowy fotografiert keine Sozialstudien als Systemanklage, selbst die Ruinen der Ost-Berliner Hinterhöfe Mitte der 1980er Jahre sollen nicht für die Versäumnisse der DDR dokumentieren, sondern sind ortlos, global verstanden, denn Armut, Verfall und Tod sind allgegenwärtig und überall präsent, genauso wie das kleine Glück des Gartenzwerge-Sammlers.

Eine besondere Beziehung entwickelte Schulze Eldowy zu Elsbeth Kördel, genannt Tamerlan, die sie 1979 auf einer Parkbank kennenlernte. Acht Jahre lang begleitet sie die ältere Frau bis ans Ende ihres Lebens, als Fotografin und als Freundin. Es ist die Nüchternheit der Reportage und die Offenheit des Modells Tamerlan, die es unmöglich macht, sich der Tragik der Ereignisse zu entziehen. Da siecht eine Frau dahin und die Fotografin folgt ihr - von ihrer Wohnung ins Altersheim und schließlich ins Krankenhaus, bis zum letzten Atemzug. Was bei allem Schmerz und Tragik immer spürbar bleibt, ist der Stolz Elsbeths, der von früheren, glücklicheren Tagen herrührt. Am Ende sitzt sie am Krankenbett, nackt, beide Beine amputiert und blickt direkt in die Kamera, wissend dass sie bald gehen wird und doch verbleibt, in der Erinnerung aller die es ausgehalten haben, dieses Foto anzuschauen.

Mehr Texte von Werner Remm

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Gundula Schulze Eldowy: Schattenwinde. Berlin und der Osten 1979-1990
01.09 - 19.11.2023

Foto Arsenal Wien
1070 Wien, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 521890
Email: office@fotoarsenalwien.at
https://www.fotoarsenalwien.at
Öffnungszeiten: Di-So 11-19 h


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