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Wiener Oasen

Rückblick auf die Diplomausstellungen 2023 von Angewandte und Akademie.

Im sechsten Stock des Schwanzer-Trakts hing für die Dauer des Angewandte Festivals eine ganz normale Uhr, die rückwärts lief. Jemand, Chris Izsák um genau zu sein, Student in Henning Bohls Klasse für Malerei, von hatte sie dort aufgehängt und manipuliert. Ich fand das auf zweierlei Weise bemerkenswert: Erstens war sie ein seltenes Beispiel für einen einfachen Kunstgriff, mit dem handstreichartig neue Verhältnisse geschaffen waren. Zweitens entzogen sich die rückwärts laufenden Zeiger einer bestimmten Interpretation, waren dabei aber nicht vage. Ich las die Uhr als gleichzeitig reizende wie erschreckende Reaktion auf das omnipräsente Gefühl von Zeitdruck, dass sich vom privaten und ökonomischen Bereich gerade in letztem Jahr auch über den ökologischen gelegt hat und damit eine gewisse neue Dimension angenommen hat. Es bleiben ja kaum mehr 10, vielleicht 20 Jahre, bis die Welt untergeht, gegangen wird.

Wenig ist davon direkt zu spüren, auf den Diplomausstellungen der Kunstuniversitäten in Wien. Hysterie macht sich keine breit. Protest, Auflehnung, Verweigerung sind nicht die Mittel der Zeit, scheint es. Stattdessen sieht man ordentlich recherchierte Arbeiten mit lobenswerten Absichten; gebildete, intelligente Referenzfeuerwerke; technische Finesse.

Aus romantizierender Sicht könnte man das Fehlen anarchischer, kurzgedachter, impulsiver Ansätze vermissen. Eine Aktion wie die von den Klassen für Kunstwissenschaft und Sprachkunst der Angewandten organisierten "streitbar", man bekam hier ein Freigetränk im Austausch für die Teilnahme an einem Streitgespräch, exemplifizierte eine Art Kalkuliertheit und vielleicht sogar eine Art Formalismus. Wieweit wurde hier gestritten, inwieweit wurde Streit imitiert? Die Idee hatte jedenfalls trotzdem was.

Viel blieb also Geste, dem ist aber einiges abzugewinnen. Ein paar persönliche Highlights vom Rundgang und Angewandte Festival: Die Video-Installation von Julia Moschen ("Das gute Leben / Die grüne Oase"), eine zwar historische, ganz ohne Mythen auskommende Auseinandersetzung mit der Donauinsel als Erholungsraum, die aber über das Dokumentarische hinausgeht. Hier wird nicht über, sondern durch den Gegenstand gesprochen.

In Marlene Fröhlichs Foto-Projekt ("Studio Supplement") ist der historische Hintergrund über die Bande angespielt. Die als Archivaufnahmen präsentierten Bilder queerer Geschichte sind tatsächlich KI-generiert; die Existenzen, die abgebildet sind, müssen dagegen als historisch gesehen werden. Auch hier funktioniert die Rekonstruktion einer vergessenen Vergangenheit ganz ohne Mystifizierung.

Anne Schmidt zeigt in der Kurzbauergasse zerbrochene Symbole ihres Begehrens in der Form von Scherben überdimensionierter Eisstanitzeln ("Strahlte, Geschöpf, Champagner, zottig, Klumpen"). Dazu kommt ein Prosastück, das eine theoretisierende Leseweise erlaubt, und mehr noch über Unmittelbarkeit funktioniert. Die psychoanalytische Karte kann, muss aber nicht gespielt werden. Eine Arbeit wie "Display for Eternity" von Patrick Winkler dagegen bietet mit der Mischung aus Ortsspezifik/Institutionskritik und dem Stichwort prekärer Arbeit die Steilvorlage für die Kunsthalle Wien. (?)

In der Galerie Krinzinger (in der die Gelegenheit genutzt wird, Studierendendiplome auszustellen) hat Ferdinand Doblhammer eine Drohne darauf abgerichtet, dem projizierten Videobild einer militärischen Aufklärungsdrohne zu folgen, was nicht zu einem Kurzschluss führt, sondern zu einer Schleife, die fürs Erste den Machterhalt über die Maschine bedeutet ("Sibling Inference"). Die Komik der Szene hat gleichwohl etwas Verstörendes.

Was die Malerei anbelangt, war hier am meisten Derbheit und Übermut zu finden. Vor allem am Schillerplatz gab es einen Hang zu opulenten Präsentationsformen und exzentrischen Rahmen. In krasser Abgrenzung zu den Malereien in der Eschenbachgasse, die im Vergleich schwermütige Ölschinken waren, kamen die am Schillerplatz feministischen Feuerwerken gleich (Nam Kim, Florine Imo).

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--> www.akbild.ac.at

--> www.dieangewandte.at

Mehr Texte von Victor Cos Ortega

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