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Von Disco und Hard...

"Ich war wohl einer der ganz wenigen Menschen, die zugleich Andy Warhol und Nancy Reagan nahe war." Eine Legende ist der Kritiker und Essayist Robert "Bob" Colacello weniger wegen seines eigenen journalistischen Werks, sondern vielmehr, weil er mit seiner Miniaturkamera in den 1970er und 80er-Jahren Legenden sozusagen in ihrem natürlichen Habitat dokumentiert hat. Als Chefredakteur des legendären Magazins "Interview" und Mitglied von Warhols Factory war er überall dabei, als es in der wilden Disco-Ära zur Sache ging, vor und vor allem hinter den Kulissen. Wenn Colacello zur Eröffnung der Ausstellung seiner Fotos bei Thaddaeus Ropac im Ely House mit weltmännischer Nonchalance erzählt, wie nach dem Ende des Vietnam-Krieges die Hippie- von der Disco-Szene abgelöst wurde und der Hedonismus immer exzessiver ausgelebt, hängt das Publikum gebannt an seinen Lippen.

Doch derart historische Präsentationen sind eher selten auf dem Londoner Gallery Weekend, das in seiner dritten Ausgabe über 120 Galerien vereint und sich stolz die größte Veranstaltung dieser Art nennt. Die Bandbreite ist erstaunlich und spiegelt die ganze Vielfalt der Londoner Szene. Von der gerade erst seit einem Jahr von einem festen Ort aus operierenden A. I. Gallery im immer noch aufstrebenden Stadtteil Shoreditch bis zum Gagosian-Imperium das in seinen beiden Mayfair-Galerien in fast schon obszöner Weise 42 Positionen zumeist großformatiger Abstraktion von Tomma Abts und Tauba Auerbach über Albert Oehlen und Gerhard Richter bis Christopher Wool und John Zurier auffährt. Der Gesamtwert des dort Gezeigten dürfte im neunstelligen Bereich liegen.

Diese erstaunliche Kooperation von Groß und Klein drückt sich im Preismodell aus. Die Newcomer zahlen 600 Pfund, die größten 3.300 Pfund für ihre Teilnahme. Die Organisation übernimmt ein 20-köpfiges Komitee, das sich unter der Leitung des Gründers Jeremy Epstein (Edel Assanti) vor allem aus Mitarbeitern der Großgalerien rekrutiert; erst seit diesem Jahr gibt es eine feste Stelle. Dadurch, dass alle mitziehen, konnte ein beachtliches Programm entwickelt werden. Neben öffentlichen Perfomances an verschiedenen Orten in der Stadt gibt es ein VIP-Programm mit zahllosen Atelierbesuchen und Einblicken in private Sammlungen. Jede Galerie konnte unabhängig von Größe und finanziellem Beitrag drei Sammler einladen, denen ebenso wie Kuratoren und Journalisten Hotelzimmer gestellt werden.

Ein thematischer Schwerpunkt in den Galerien sind - noch mehr als in deutschen oder österreichischen Galerien - Fragen nach dem Selbst oder der Identität in allen Facetten. Das reicht von den Portraits ghanaischer Boxer auf Goldgrund von Godfried Donkor bei 1957, über die stilistisch subtilere Suche nach dem eigenen Ich in der Familienvergangenheit bei der in Ägypten geborenen Londonerin mit libanesischen Eltern Nour Jaouda bei Union Pacific, bis zur krassesten Show des Wochenendes: "Hardcore" bei Sadie Coles ist genau das und bietet zwischen einem schwingenden Pendel aus Ledergürteln von Monica Bonvicini und frühen ausgesprochen expliziten Fotos von Cindy Sherman bis hin zu den von BDSM geprägten Fotos von Bob Flanagan und Sheree Rose eine Reise zu den abseitigen Aspekten menschlicher Sexualität und Körperlichkeit. Mindestens diese Ausstellung wird noch lange im Gedächtnis bleiben.

--> londongalleryweekend.art/

Mehr Texte von Stefan Kobel

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