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Geschichte im schiefen Kontext

„Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist!“ Vielleicht hätte es nicht über 10 Jahre Diskussion gebraucht, um eine Entscheidung zum Umgang mit einem unliebsamen Denkmal zu treffen, wäre die Wiener Stadtpolitik schon früher engagierter und entscheidungsfreudiger gewesen. Aber immerhin, die Zeit scheint jetzt gekommen zu sein.
Dabei hat die Problematik ihren Ursprung durchaus in der Zeit Victor Hugos, dem das Zitat am Beginn zugeschrieben wird. Im Jahr 1895, zehn Jahre nach dem Tod des gefeierten Schriftstellers und Politikers in Paris, wurde in Wien Karl Lueger zum ersten Mal zum Bürgermeister Wiens gewählt. Sein Amt antreten konnte er aber erst 1897, denn sein offen kommunizierter Antisemitismus und Haltung gegenüber staatlichen Autoritäten hatten dies bis dahin verhindert. Der Gründer der Christlichsozialen Partei entwickelte aber in seinem Amt soziale Neuerungen, von denen die Stadt Wien bis heute profitiert. Die Kommunalisierung zentraler Bereiche wie Energieversorgung und öffentlicher Verkehr, der Bau der II. Wiener Hochquellenleitung, Schulbauten und Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung fallen in die Amtszeit Karl Luegers. Gleichzeitg blieb er bis zu seinem Tod 1910 ein Antisemit und bereitete damit auch den Boden für die antijüdische Stimmung in der Bevölkerung die schließlich zum Nationalsozialismus führte. Sein Denkmal steht seit dem Jahr 1924 auf dem gleichnamigen Platz am Stubenring und während der nach ihm benannte Abschnitt des Rings im Jahr 2012 in Universitätsring umbenannt wurde, blieben Denkmal und Platz bisher unangetastet.

Im Jahr 2010 nahm die Diskussion um diese Form der unreflektierten Erinnerungskultur erstmals Fahrt auf als die Universität für angewandte Kunst einen Wettbewerb für die künstlerische Umgestaltung des Denkmals initiierte. Damals erklärte eine Expertenjury den Entwurf „Schieflage“ von Klemens Wihlidal  zum Siegerprojekt aus 220 internationalen Einreichungen. Wihidals Entwurf was so einfach wie bestechend: Durch ein Kippen der Bronzestatur und des Sockels um 3,5 Grad nach rechts, würde eine Irritation im öffentlichen Raum entstehen, mit der ein Diskurs rund um die problematische Politik Luegers initiiert werden könnte. Die Wiener Stadtpolitik lehnte diesen Vorschlag ab, aber es entstand immerhin eine Diskussion um das Erbe Luegers und sein Denkmal, das auch durch das Entstehen der Black Lives Matter Bewegung und die weltweite Diskussion um Denkmäler historisch fragwürdiger Persönlichkeiten befeuert wurde.

Nach vielen Aktionen auch der Universität für angewandte Kunst, einigen Vandalenakten gegen das Denkmal – aktuell wurde es mit hellblauer und schwarzer Farbe beschüttet und mit dem roten Schriftzug „Schande“ bespüht – wurde im Jahr 2022 von KÖR Kunst im öffentlichen Raum Wien endlich ein neuer, geladener Wettbewerb ausgeschrieben und eine hochkarätige Jury berufen um nun endlich eine zeitgemäße künstlerische Kontextualisierung des Denkmals zu finden.

Geladen waren Ignasi Aballí, Anna Artaker, Yael Bartana, Catrin Bolt, Clegg & Guttmann, Ramesch Daha, Eduard Freudmann, Anna Jermolaewa, Martin Krenn, Tatiana Lecomte, Hans Schabus, Heidi Schatzl, Milica Tomić, Simon Wachsmuth und eben Klemens Wihlidal, der Gewinner des Wettbewerbs 2010. Als Wettbewerbsjury waren Iris Andraschek, Aleida Assmann, Katharina Blaas, Herwig Turk, Markus Figl/Lucia Grabetz, Felicitas Heimann-Jelinek, Sonja Huber, Franz Kobermaier, Hanno Loewy, Herbert Posch, Eva-Maria Stadler, Thomas D. Trummer sowie Heimo Zobernig berufen.

Nach einigen Tagen intensiver Beratung, wie Juryvorsitzende Eva-Maria Stadler im Rahmen der Vorstellung des Siegerprojektes berichtete, konnte die Jury keine bessere Idee als diejenige von Klemens Wihlidal entdecken und endlich ist auch die aktuell handelnden Politiker:innen so weit, das Projekt zur Umsetzung zu bringen. Man wolle das Denkmal eben nicht einfach abreißen, wie etwa von Vertreter:innen der jüdischen Gemeinde Wiens und z.B. den Grünen gefordert. Für Kulturstadträtin Kaup-Hasler lässt sich somit „der Bruch mit Lueger in einem symbolischen Zeichen deutlich vollziehen“. Außerdem biete das präsente, aber gekippte Denkmal einen bleibenden Anreiz „über Lueger und seine Folgen, den Populismus und den politischen Antisemitismus nachzudenken.“

Aktuell befindet sich vor der Lueger-Statue ein großes Holzgerüst, entworfen vom Künsgtlerduo Nicole Six und Paul Petritsch, das auf 16 weitere Gedenktafeln, Porträts und Erinnerungen an Lueger im Wiener Stadtgebiet verweist und das als temporäre Auseinandersetzung mit der Geschichte im Vorfeld des Wettbewerbs entstanden ist. Das umstrittendste dieser Denkmäler wird nun Herbst 2023 abgetragen und nach einer nötigen Renovierung und statischen Begutachtung im Jahr 2024 wieder auf- und schräggestellt.

Mehr Texte von Werner Remm

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