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Bára Prášilová: Circles: Im Kreise unmöglicher Möglichkeiten

Ein kleines Mädchen sitzt in einer auf dem am Laternenpfeiler abgestützten Bein der Mutter angebrachten Babyhutsche. Die Fotografie mit dem irreführenden Titel The Three of Us lässt ins Stocken geraten, sind doch nur zwei Personen ins Bild gesetzt. Die Dritte – vermeintlich männliche – hat sich ausgeklinkt. Dass auf sie angespielt wird, macht ihre Absenz aber präsenter, geradezu dringlicher. Sie könnte dem Treiben aus Distanz, in übergeordneter Position auf dem Mast, zusehen. Sie könnte sich auch aus dem Staub gemacht haben. Ähnliches suggerieren andere Werke der Serie Circles, die sich um das Mutter-Tochter Gespann herum gruppieren. In On and On trägt die Frau dann nicht nur ihre Tochter huckepack auf den Schultern, sondern mit ihr auch ein dutzende Kilo schwer anmutendes Gewicht, das absurderweise von der Kleinen in die Luft gestemmt wird. In Angel oder The Weigth werden Kinder selbstbewusst und kraftstrotzend in Szene gesetzt. Breitbeinig stehen sie da und fordern Betrachter: innen mit frontalem Blick heraus. Hin und wieder wirken sie nachdenklich, wie das Kind in der Schaukel oder sind gar vom Auge des Betrachtenden abgewandt. Ein Mädchen hat mit ihren Haarzöpfen einen Käfig um sich gebaut und einen Jungen eingeschlossen. Männliche Protagonisten sind, wenn überhaupt im Bild, Kinder oder Jugendliche.

Was Prášilová interessiert, fällt im Begriffspaar undoable reality zusammen. Ihre Welt speist sich aus Persönlichem und imaginären Gedankenspielen, aus Kellergängen wie visionären Dachbodendurchsuchungen. Da die Plattenbauten aus dem Osten der ehemaligen Tschechoslowakei, gegen die sich Protagonist:innen mit farbenfrohen Klamotten geradezu auflehnen, dort die selbstbewusste Mutter eigener Vergangenheit, an anderer Stelle die Suche nach Balance in symmetrischen Gleichnissen und Gleichgewichtsmetaphern. In Analogie dazu berühren sich die Finger zweier Protagonist:innen mit Gipsarmen in spiegelbildlicher Konstellation. Das vorherrschende Rot in den Werken spielt nicht nur auf Jungfräulichkeit und Menstruation an, sondern gleicht dem Ticken der Uhr – der biologischen, der eigenen inneren und einer, die für Endlichkeit steht und alles wieder in Balance oder Dysbalance bringt. In der Arbeit Clock wird so eine Frau im mittleren Stadium mit bezeichnender Babywippe gezeigt. Wippe und Kleid der Frau sind in Blutrot nach hinten gestellt, weiße Säulen und ein himmelblauer Hintergrund offenbaren den Zyklus des Werdens und Vergehens. In Prášilovás Kunst prallen so zwei Kräfte, die der Imagination, die der Realität, aufeinander. Ihr szenisches Vexierspiel hat sich in der surreal-realen Neuen Sachlichkeit eines Erwin Blumenfeld oder Herbert Bayer verstrickt, lässt den Faden aber originär in subjektive, nicht nur heile Traumwelten laufen. Subtil lassen Surrealisten wie Magritte und Dalí grüßen, doch nur vordergründig, weil Prášilová lediglich bis zur Schwelle aller Unmöglichkeit vortritt, diese nicht überstrapaziert. Die Kombination der Einzelkomponenten, die an sich schon möglich sind – die Langhantel könnte ein Gewichtstemmer heben, die Schaukel könnte an einem Gerüst festgemacht sein – vermehrt dann in diesem Falle die Surrealität realistischer Szenen nur. Zerrinnende Uhren sind nicht zu sehen, rauchende Pfeifen als geschlechtsartige Nasen wie in Magrittes Philsopher´s Lamp ebenso wenig. Auch wenn nicht unmittelbar vom „Verrat der Bilder“ die Rede ist, die Beziehung zwischen Signifikanten und Signifikaten nicht vollständig ad absurdum gelegt wird, stellt sich irgendwann doch die Frage nach der Zuverlässigkeit des Bildmaterials. Der Schwenk zum Motto der FOTO WIEN - Photography lies - ist nicht weit.

In die Frage um Lüge und Wahrheit der Fotografie reiht sich Prášilová mit verspielter Buntheit wie schwermütigem Charakter ein. Die Schau gibt ein smart aufeinander bezogenes Gesamtbild ab, die Referenzialität der Werke artet dann aber etwas zu Ungunsten der werkbezogenen Vielfalt aus. Rein kompositorisch scheint es, als ob man kuratorisch die sich hindurchziehenden Farbkontraste – des Orange und Rot auf Blau sowie auf urbanes Grau – herausstellen wollte. Da ist Circles wohl Paradebeispiel dafür. Die enge Fokuslegung ist aufgrund der kleinen zu bespielenden Räumlichkeit legitim, führte aber dazu, dass Sidesteps ausgeklammert wurden, die den Zirkel rund gemacht hätten. Die in dem Kontext selbstredende, nicht gezeigte Serie Never Happend, ein surreales Zusammenwirken zwischen Mensch und Tier, könnte eine Brücke zu Circles schlagen. Ein halbnackt auf dem Nacken eines Hirsches dösender Junge, ein Flamingo mit Fächer als Schwanzfeder - undoable reality wäre um eine Facette reicher.

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Florian Gucher ist artmagazine Stipendiat 2023
Wir danken der   für die Unterstützung des artmagazine-Stipendiatenprogramms

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Bára Prášilová: Circles
07.06 - 31.08.2023

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