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Giorgione - Mythos & Enigma: Strip ohne Poker

So sollten Kataloge immer sein. Derzeit geht ja der Trend bei Begleitpublikationen zu Ausstellungen historischer Kunst zum bunten Bilderbuch mit leicht verdaulichem Inhalt. Man kann darin einen weiteren Schritt zur Disneyfizierung der österreichischen Ausstellungshäuser erkennen, bei der man im Kampf um jeden einzelnen Besucher vor nichts zurückzuschrecken scheint. Als eine der letzten Institutionen, die gute Kataloge für wichtig hält, steht dagegen das Kunsthistorische Museum da. Das Begleitbuch zur Giorgione-Ausstellung begeistert allein schon durch die schiere Tatsache, dass hier Texte mit Anmerkungen abgedruckt sind. Es gibt einen Anhang mit gleich drei Abhandlungen über wissenschaftliche Untersuchungen und Erkenntnisse, die bei der Restaurierung von Gemälden gewonnen wurden. Der Hauptteil des Katalogs ist dem kunsthistorischen Diskurs gewidmet. Giorgione, eigentlich Giorgio da Castelfranco, gilt seit kurz nach seinem frühen Tod 1510 als einer der bedeutendendsten, aber auch rätselhaftesten Künstler der italienischen Renaissance. Schon sein erster Biograph, Giorgio Vasari, wusste wenig Konkretes über ihn und konnte auch seine Werke nicht mehr wirklich deuten. Einige davon, wie das in der Ausstellung gezeigte Gemälde "Gewitter", haben inzwischen Generationen von Kunsthistorikern zu Interpretationen und Erklärungsmodellen verführt. Es ist sehr wertvoll, dass einige neuere, einander durchaus widersprechende Texte im Katalog neben einander stehen. Es geht nicht darum, sich für eine Deutung zu entscheiden, sondern ermessen zu können, dass man sich dem Rätsel, vor das dieser intellektuelle Künstler schon seine Zeitgenossen stellte, nur auf eine Weise nähern kann: mit Fragen, auf die es vermutlich niemals mehr Antworten geben wird. Hat man das begriffen, kann man sich den Bildern zuwenden. Leider werden sie im Saal VIII gezeigt, was dazu führt, dass all die Finesse der so avancierten Giorgioneschen Malweise im Geschiebe von bereits wenigen Besuchern unterliegt. Gerade für Giorgione wäre eine Ausstellung schön gewesen, die genügend Raum lässt, um das Auge angesichts dieses raren Zusammentreffen von Originalen schulen zu können. Statt dessen versucht man im KHM "Mythos und Enigma" beizukommen, indem man zu einigen der Gemälde Fotos von Röntgenaufnahmen und Infrarotreflektographien gesellt. Der Striptease soll können, was der Kunstgeschichte nicht gelingt. Man hat die Lehren des eigenen Katalogs vergessen und glaubt Antworten liefern zu müssen. Da man sie auf der gemalten Oberfläche nicht findet, sucht man sie darunter. Eine sehr unvisuelle Methode. Eine sehr unvisuelle Ausstellung.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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Giorgione - Mythos & Enigma
23.03 - 11.07.2004

Kunsthistorisches Museum
1010 Wien, Burgring 5
Tel: +43 1 525 24 0
Email: info@khm.at
http://www.khm.at
Öffnungszeiten: Di-So 9.00-18.00


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