Werbung
,

Über das Neue - Wiener Szenen und darüber hinaus: Gut gemeint

Die Kuratorinnen des Belvedere 21 werden sich des Risikos, das sie mit einer Ausstellung eingingen, die mit „Über das Neue“ betitelt ist, schon bewusst gewesen sein. Jedenfalls schon nach der ersten Auflage 2019 waren die Herausforderungen offensichtlich. Was das überhaupt sei, das „Neue“, und wie die kuratorische Rolle interpretieren? Wie eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff des „Neuen“ ermöglichen, also nicht nur das „Neue“ ausstellen, sondern auch reflektieren? Dazu institutionskritisch müsse die Ausstellung sein, und Vorsicht vor der Falle der Appropriation von Off-Spaces. Es gab viel zu beachten.

Nun, jetzt ist trotzdem eine Ausstellung entstanden, die weder das „Neue“ reflektiert, noch die Ausstellungssituation, und auch nicht die kuratorische Rolle. Was die Kuration betrifft, ist versucht worden, durch spreading (fünf Köpfe zählt das Team) und out-sourcing (den eingeladenen Spaces ist freie Hand in der Gestaltung ihrer Beiträge gelassen) alles richtig zu machen und sich zurückzunehmen. Immerhin 45 ausgewählte Einzelpositionen wurden direkt eingeladen und werden in den kommenden Monaten zu sehen sein. Im besten Fall entsteht so eine vielzitierte Polyphonie; im Schlechten aber sind nicht viele Stimmen zu hören, sondern nur Vielstimmigkeit. So entsteht kein Panorama, sondern ein unscharfes JPEG (Ted Chiang, The New Yorker), ein Durchschnitt, aus welchem die Höhen und Tiefen heraussubstrahiert sind.

Tatsächlich bleiben die einzelnen Positionen abziehbildhaft, weil sie weder in ein größeres Narrativ eingebettet sind, noch ihnen Raum gelassen ist, um ein eigenes zu entfalten. Die Spaces reagieren auf diese vage Artikulation der Situation teils kreativ: philomena+ mit der Verlegung des Büros in die schöne Halle des 21er-Hauses, samt Fassade, Jahreskalender, und Skizzen. Hier wird tatsächlich gearbeitet, und sich in einem cleveren Schritt die Institution angeeignet. School hat die ansonsten im Ausstellungsraum durch Abwesenheit auffallenden Wandtexte selbst mitgebracht und an den eigenen Stand gekettet und tanzt außerdem mit der Schaffung eines zusätzlichen (Gesprächs)Raums samt überdimensionalem Garderobenhaken aus der Reihe.

Auch nicht über den Charakter eines Abziehbilds hinaus kommt die Ausstellungsarchitektur. Die omnipräsenten Autoanhängerreifen (und NEU noch dazu!) sollen Mobilität, Veränderung, Flexibilität und auch ein bisschen Self-Made vortäuschen – mal sehen, ob da wirklich noch Bewegung in die Sache kommt. Jedenfalls unnötig aufdringlich sind sie, und unnötig kompliziert die schräg verwinkelten Wandkonstruktionen, die nur Halbräume schaffen. Die Aussparungen in den Wänden, mit denen Sichtachsen entstehen und also neue Nachbarschaften entstehen sollen, sind von den Künstler:innen oft abgelehnt und verhangen. Symptomatisch auch, dass die Mitte der Halle leer bleibt.

Es bleibt eine Diskrepanz zwischen dem Anspruch die „Wiener Szenen und darüber hinaus“ in einer möglichst großen Breite und vor allem vorbehaltlos auszustellen – und dem Ergebnis: einer uneingestandenen Kurator:innenausstellung ohne erkennbare Linie(n).
Trotz allem: hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen und bei aller Kritik hat diese Ausstellung ihre Berechtigung. Und ist sicher auch ein dankend angenommenes Angebot an die jungen Künstler:innen und Spaces, die zu den Ausgewählten gehören. 

--
Die Ausstellungsteile bis Jänner 2014:

ÜBER DAS NEUE. Teil 1
7. April – 2. Juli 2023

Ausstellungen in der Ausstellung kuratiert von:
7. April – 21. Mai 2023
Kunstverein Gartenhaus, Memphis, philomena+, school
27. Mai – 2. Juli 2023
Edition:, Hinterland, prolet.AIR, Queer Museum Vienna

ÜBER DAS NEUE. Teil 2
14. Juli – 15. Oktober 2023

Ausstellungen in der Ausstellung kuratiert von:
14. Juli – 27. August 2023
DESSOUS, Kulturdrogerie, Laurenz, Magazin – space for contemporary architecture
2. September – 15. Oktober 2023
Periscope, Pinacoteca, Stiege 13, WAF

ÜBER DAS NEUE. Teil 3
26. Oktober 2023 – 14. Jänner 2024

Ausstellungen in der Ausstellung kuratiert von:
26. Oktober – 3. Dezember 2023
bb15, EFES42, Entre, Improper Walls
8. Dezember 2023 – 14. Jänner 2024
Hoast, Kluckyland, Size Matters, toZOMIA

--
Anmerkung der Redaktion: Die Ausstellung beinhaltet ein Kunstwerk von  Gabriele Edlbauer + Julia S. Goodman mit dem Titel "Gut gemeint". Dass der Titel der Kritik von Victor Cos Ortega ebenfalls "Gut gemeint" lautet, steht in keinem Bezug zu dem Kunstwerk der beiden Künstlerinnen und ist auch nicht als Zitat zu verstehen. "Gut gemeint" ist vielmehr eine Phrase die als immaterielles Gedankengut nicht dem Urheberrecht unterliegt.

Mehr Texte von Victor Cos Ortega

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Über das Neue - Wiener Szenen und darüber hinaus
07.04.2023 - 14.01.2024

Belvedere 21
1030 Wien, Schweizergarten/Arsenal-Straße 1
Tel: +43 1 795 57-0
Email: info@belvedere.at
http://www.belvedere21.at
Öffnungszeiten: Mi-So 10-18 h, Mi, Fr bis 21 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: