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Isa Genzken. 75/75: Absolut nichtidentisch: Eine Rose ist eine Hose ist eine Dose

Mit der Ausstellung „75/75“ begeht die Neue Nationalgalerie in Berlin jetzt den 75. Geburtstag von Isa Genzken, der mehrfachen Teilnehmerin von Documenta und Venedig Biennale. Nomen est omen: 75 Arbeiten sind da zu sehen, chronologisch präsentiert in der großen Halle.

Das Konzept „75/75“ macht vielleicht Sinn, da es Arbeiten aus allen Werkphasen von Isa Genzken präsentiert, ist letztlich aber mit seinem Prinzip der linearen Chronologie auch ein wenig schlicht gedacht. Keinesfalls also handelt es sich da um den großen kuratorischen Wurf, zu dem große Teile der Presse den Kuratoren Lisa Botti und Klaus Biesenbach „gratulieren“. Fast schon überschwänglich wird diese Ausstellung durch die Bank gefeiert, auch mit als Lob gemeinten Formulierungen wie „Magische Momente“, „trashiges Design“ oder „verspieltes Werk“, zudem ist da von „Energiefeldern, die einen in den Bann ziehen“ die Rede und, noch populistischer, von übersprudelndem „Humor“ und „Witz“. Doch diese vorschnellen Zuschreibungen treffen den Kern von Isa Genzkens Arbeiten, die trotz ihrer großen Menge ein wenig verloren in dem Mies van der Rohe-Bau wirken, nicht - im Gegenteil. Isa Genzken, die ohne Zweifel zu den wichtigsten Künstlerinnen nicht nur in Deutschland gehört, ist darum „erkennend vor ihren Freunden zu retten“, wie Theodor W. Adorno einmal über Joseph von Eichendorff schrieb.

Vor allem sind da die Momente des Nichtidentischen und des Bruches zu beachten, beide nämlich sind immer wieder von entscheidender Bedeutung für dieses Werk, das es nie auf Gefallen, sonder eher auf produktives Enttäuschen und manchmal auch auf Provokation anlegt. So sind schon Isa Genzkens frühe Bodenskulpturen a lá „Ellipsoide“, 1976 – 1980, durch die Konstruktion des Nichtidentischen bestimmt: Sie sind zwar minimalistische Arbeiten, aber brechen doch mit den Prinzipien der Minimal-Kunst. Durch diese unterscheiden sie sich nämlich nicht zuletzt dadurch, dass sie sich nicht davor scheuen, Assoziationen beim Betrachter zu evozieren. Und auch die ebenfalls in „75/75“ zu sehende spätere Werkgruppe der „Schauspieler“, seit 2007, betonen besagten Aspekt des Nichtidentischen, sind doch die Figuren einerseits handelsübliche Schaufensterpuppen. Andererseits dienen diese kommerziellen Figuren hier dezidiert nicht dem „schönen Schein“ zur Anpreisung wohlfeiler Waren, sondern stehen und liegen da als anonyme Verkörperungen von Unbehagen und Entfremdung. 

Schließlich die „Pink Rose“, 2016/2023, die als so filigrane wie monumentale Skulptur vor der Neuen Nationalgalerie steht. Die Rose ist mit ihrer Höhe von 8 Metern viel zu groß, sie ist ein künstliches Ding und offensichtlich nicht ein Produkt der Natur – und: Sie wächst eigentlich nicht auf einem steinernen Platz wie diesen. Als der Strenge Mies van der Rohes widersprechender Fremdkörper behauptet diese Rose sich dort, als „nature morte“, im wahrsten Sinne des Wortes, und eben nicht als romantisch-magisches Moment.

Mehr Texte von Raimar Stange

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Isa Genzken. 75/75
13.07 - 27.11.2023

Neue Nationalgalerie
10785 Berlin, Potsdamer Straße 50
Tel: +49 30 266 424242
https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/neue-nationalgalerie/home/
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 h


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Adorno lesen, nicht nur zitieren
Dorothea de Villers | 18.07.2023 01:11 | antworten
Na ja, erst mit dem kompletten Zitat wird ein Schuh draus: "Eichendorff erkennend vor Freunden und Feinden retten," schrieb Adorno. Und fügte hinzu: "Das Element seiner Gedichte, das dem Männergesangverein überantwortet ward, ist nicht immun gegen sein Schicksal und hat es vielfach herbeigezogen." Was sinngemäß Isa Genzken etwa mit ihrer Rose und anderen Versatzstücken dekorativ "herbeigezogen" hat, wäre einen unverstellten Blick wert gewesen.

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