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Nicole Eisenman. What Happened: Ganz ohne Kleber

In der deutschen Museumswelt musste – nach Ausstellungen in der Wiener Secession (2017), der Kunsthalle Baden-Baden (2018), dem Kunsthaus Aargau (2022) – ja mal jemand auf die Idee kommen, Nicole Eisenman (Jg. 1965) endlich eine amtliche Retrospektive einzuräumen. Zufall, dass sich das Münchner Museum Brandhorst im Team mit der Londoner Whitechapel Gallery nun den Hut aufsetzt und anhand von rund hundert Werken, Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen die Werkgenese der US-amerikanischen Künstlerin nachzeichnet? Jedenfalls gehen dort die Uhren immer noch nach dem Takt der alten, von der Geschmacksbildungsachse Köln-New York geprägten Kunstwelt, in der im Spannungsfeld von Konzeptualität, Kritikalität und Kommerz einst die Saat für den zeitgenössisch-globalen Kunstbetrieb von heute gelegt wurde. Hilfreich auch, dass Eisenman – was ihre Karriere bisher betraf, ein slow burner – seit 2019 vom Galeriekonzern Hauser & Wirth vertreten wird. Es sind solche Global Player, die den von der öffentlichen Hand mutwillig kaputtgesparten Museumsbetrieb dominieren: neben Eisenman haben die Schweizer mit Roberto Cuoghi in Kassel, Jenny Holzer in Düsseldorf, Christina Quarles in Berlin und Cindy Sherman in Stuttgart derzeit gleich fünf Promi-Eisen im Feuer. Nicht immer ist es da die künstlerische Qualität, die zählt.

Von Mark Godfrey und Brandhorst-Kuratorin Monika Bayer-Wermuth konservativ chronologisch kuratiert, lässt sich „What happened“ zweifach lesen: einmal nach innen, als Rechenschaftsbericht einer künstlerischen Werkentwicklung und zweitens – mit Eisenman als kritische Diagnostikerin ihrer persönlichen aber auch weiter gefasst, politisch-gesellschaftlichen Lebensumstände – als Sittenbild des zuletzt zunehmend krisenanfälligen, alten Westens.

Prima, an die prekäre Arbeitsweise der Künstlerin der 1990er-Jahre zu erinnern, bevor sie das Tableau für sich entdeckte. Ihre einst on site realisierten Murals werden zwar nur als Filmdoku wiederbelebt. Doch verweisen wandfüllende Ensembles aus Zeichnungen, Collagen und Notizen immerhin darauf, dass der Status der Malerei als Möglichkeit künstlerisch ‚progressiv‘ zu arbeiten seinerzeit alles andere als sicher war: ein Grund auch für den installative turn, mit dem der guten alten Bildkunst Leben eingehaucht wurde. Das Wimmel-Comic „Capture, Cut off Penis, Stuff Penis, Attach to Belt, Fitting” (1994) zeigt wie ein Contra auf die frühen, sexualisierten Cézanne-Akte Frauen beim Männerjagen/Dildoherstellen und deutet an, dass queer nicht immer das Lifestyle-bestimmende „Allerweltswort“ (Manfred Hermes) von heute war. Künstlerisch weit spannender, wie Eisenman dann die alt-akademisch „hohe“ mit konzeptuell „schlechter“ Malerei, maltechnische Brillanz mit immensem Bildwissen fusioniert, Salon und Straße oft in ein und demselben Bild zur Kollision bringt: Gerade zur Zeit der so genannten Finanzkrise, 2008/2009, gelangen mit „Coping“, „The Triumph of Poverty“ oder den trügerischen, längst Richard Florida-fizierten Boheme-Idyllen „Brooklyn Biergarten“ anspielungsreiche Allegorien des „modernen Lebens“, gekontert mit eklig-schönen Bauschaum-Porträt-Ballereien á la „Saggy Tits“.

Bezeichnend, dass zwar jede Menge jüngerer Bronze- und Aluskulpturen, nicht aber das Filetstück „The Abolitionists at the Park“ (2020/21) aus Eisenmans New Yorker H&W-Debüt nach München gereist sind. Es wäre fürs Brandhorst zu teuer und, laut Saaltext, „ökologisch nicht verantwortbar“ gewesen, den ans Metropolitan Museum verkauften Schinken zu transportieren. So bestaunen wir Wandtapete, die Eisenmans in Originalgröße reproduzierte Einlassung auf die „Occupy City Hall“-Proteste in Manhattan zeigt. Dort trat man fürs „Defund NYPD Now“ ein, offenbar ohne die Ausbeutungsverhältnisse im Großen und Ganzen zu stören, immerhin ganz ohne Kleber.  

Mehr Texte von Hans-Jürgen Hafner

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Nicole Eisenman. What Happened
24.03 - 10.09.2023

Museum Brandhorst
80333 München, Theresienstraße 35a
Tel: +49 89 238 052 286
http://www.museum-brandhorst.de
Öffnungszeiten: Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr


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