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Ein Roter Faden. Textile Wege in der Kunst: Keine Sackgasse

Die ersten Assoziationen zur Kunst von Daniel Spoerri (*1930) gehen unwillkürlich zu den Fallenbildern und der Eat Art, aber der aufmerksame Ding-Trophäen-Jäger und Sammler Spoerri hatte immer auch ein Auge für besondere Textilien und so verfügt er sowohl über einzelne private Liebhaberstücke als auch über textile Vorräte im eigenen Fundus. In den 1990er Jahren landete Spoerri mit der Serie „Le Trésor des Pauvres“ einen gestalterischen Coup: Industriell gefertigte Wandbildteppiche, deren Motive von röhrenden Hirschen über prächtige Pfaue und exotischer Löwenfamilie bis zu  Christus-Darstellungen reichten, wurden mit kontrastierenden Accessoirs ergänzt und so mit einem neuem Bedeutungsspektrum „aufgeladen“ – und lukrativ verkauft. Anders erging es den unzähligen, mit sinnigen Sprüchen bestickten Handtüchern. Mag sein, sie waren teilweise zerschlissen oder fleckig, jedenfalls wurden ihnen die Wörter herausgeschnitten und auf einem gut erhaltenem Stück zu neuen, unerwarteten Rede-Wendungen zusammengefügt, etwa: „Ein Mensch braucht in seinem Leben nicht oftmals Segen; denn denken hilft auch!“ oder „himmlische Rosen findet man nie; glaube mir“. - Drei im Besitz von Spoerri befindliche original Batakari-Gewänder - Kriegshemden der Ashanti in Ghana, die rundum mit Schutz-Amuletten behangen sind - hat Spoerri mit seinem mit Trillerpfeifen besetzten Nesselhemd formal nachgeahmt – jedoch Pfeifattacke durchaus möglich.

Dem Charme alter Tischwäsche mit ihren Monogrammen spürt auch Petra Weifenbach gerne nach mit ihrem speziellen Wortsinn und Wortwitz. Sie lässt die Servietten und Tischtücher aber stets achtungsvoll ganz, trotz Fleck oder Loch, und kombiniert sie so raffiniert gefaltet, dass sich aus den Initialen dennoch ein Begriff oder Satz  ergibt: „Zur Vollkommenheit fehlte ihr nur der Mangel“ – wie wahr - und Flecken können auch kreativ bestickt werden. Das Fleckentischtuch „nappes“ ist durchaus themenverwandt zur Eat Art. Petra Weifenbach stickte sogar eine Fleckentypologie. Sticken ist ein beliebter „Weg“ im textil-künstlerischen Gestalten. Hier schließen mehrere VertreterInnen in der Ausstellung an.

Die erfolgreiche und preisgekrönte Cartoonistin und Comiczeichnerin Roz Chast (*1954, USA) punktet  inzwischen gleichermaßen mit ihren dicht bestickten, ironischen Mini-Szenarien, von denen fünf gezeigt werden. Janusköpfig präsentieren sich Arbeiten von Jochen Flinzer (*1959). Der Professor an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg hat die Stickerei als seine grafische und malerische Ausdrucksform – je nach Dichte – gefunden. Auf verschiedenen Bildträgern stickt er vollflächige Motive oder zieht nur Konturen mit dem Faden nach. Das wirkt auf der einen Seite sehr dezent, bisweilen fast unmerklich, auf der anderen Seite (es handelt sich eben nicht um Vorder- und Rückseite!) spricht das Fadengespinne eine andere Sprache. Wie Schraffuren bilden die Fäden schemenhaft die Gestalten der anderen Seite ab. Flinzer hat hierbei seine eigene Stickmethode entwickelt.

Stickender Mann oder stickende Frau? Mit welchen unterschwelligen Konnotationen ist diese Tätigkeit begleitet?!

Victoria Martini (*1971, Belgien) hat in Deutschland verschiedene Studienrichtungen ausgelotet (Innenarchitektur, Politik, Malerei und Kunsttherapie) und stickt seit über 20 Jahren ganz bewusst – als Frau! Für das Ausstellungshaus Spoerri wurden einige Arbeiten aus einer Serie ausgesucht, die sich mit der Stilisierung von musealen Prunkräumen auseinandersetzt, was durch den hart konturierenden Kontrast von weißer Stickerei auf schwarzem Grund noch überhöht wird. Die Serie Vom Verblassen der Bilder geht einen anderen Weg: Cremeweiß der Untergrund, cremeweiß die Flachstickerei darauf. So werden Sujets von Häusern und architektonische Details, kleine Idyllen reliefartig skizziert.

„Samstag, 18. Mai 2019. Guten Tag. Heute ist Vollmond. Der Mond geht 31 Minuten vor Sonnenaufgang auf...“ Diverse  Wetterberichte und Horoskoptipps des Jahres 2019 hat Claudia Kallscheuer (*1967) in roten Lettern vom oberen bis zum unteren Rand dicht an dicht aufgesteppt, lose Fäden schlingern dazwischen – ein Eycatcher. Sie zeichnet  und schreibt mit der Nähmaschine ihre persönlichen Alltagserfahrungen nieder... Die als Handstickerin in Kanvas-, Leinwand- und Goldstickerei graduierte Künstlerin Sabine Perez sorgt mit einem eigenwilligen Materialmix für Staunen: Eine gewöhnliche weiße Plastiktasche wurde feinsäuberlich mit einem Kranz blühender Rosen in Kreuzstichmuster bestickt. In ähnlicher Weise verbrämte sie häkelnd auch Pappkarton oder Papiertaschentücher – als wäre es feines Linnen. Einen mindestens ebenso ungewöhnlichen Gestaltungsansatz fand Helena Hafemann (*1997) angesichts eines zerbrochenen Porzellantellers. Quasi als „Trauerarbeit“ wurden die beiden Teile mit langen, farblich akurat abgestimmten Fäden wieder verbunden – wie an einem gedehnten Gummiband hängend. Es sind inzwischen einige dieser Objekte unter dem Titel „Fadenschein“ entstanden. In einer anderen Werkgruppe steppt sie das Prägemuster von Küchenrollen nach, wobei der „textile Weg“ durch all die Stanzlinien sich erst im Prozess entscheidet.

Als pars pro toto einer Installation, bestehend aus sechs Nähkästchen verschiedener Stile und einigen Miniatur-Objekt-Bildern, in  denen inhaltliche und/oder formale Assoziationen zu Nähutensilien, Garnen usw. vereint werden, sei die Kombination Nähseidenspule, Dübel und Patrone angeführt. Es ist dies der Beitrag von Barbara Räderscheidt, der künstlerischen Leiterin des Ausstellungshaus Spoerri, die auch für die Konzeption dieser Ausstellung. verantwortlich zeichnet.

Rosemarie Trockel – lange Zeit durch ihre Arbeit „Who Will Be In In ’99?“ als die Vorzeige-Textilkünstlerin konnotiert und gleichzeitig als die „Strick-Künstlerin“ abgetan – ist mit einer Heliogravur vertreten, deren Sujet aber den Bezug zum Textilen, insbesondere zum Begriff des Spinnens herstellt. Es sind neun Spinnennetze abgebildet, die vom Ideal eines konzentrisch gleichmäßig angeordneten Gespinstes markant abweichen. Der Grund: die Spinnen standen im Zuge eines naturwissenschaftlichen Experiments unter Drogeneinfluss, wobei Kaffee die Verwirrungen von LSD und Mescalin übertrafen... Man könnte meinen, Stricken ist generell in der Kunstproduktion out und Häkeln ist in, wäre da nicht Annette Streyl (*1968) und ihre Strickarchitektur. Im Maßstab 1:100 wurden real existierende Gebäude, etwa das ehemalige World Trade Center oder der Fernsehturm Berlin, (maschinell) gestrickt und entweder vollplastisch hängend präsentiert oder nur als Hülle lasch über eine Leine gehängt.

Also jetzt: Häkeln. Katharina Krenkel (*1966 Buenos Aires, aufgewachsen in Deutschland) setzt ihre Neuinterpretation von „Spitzendeckerln“ in das Spannungsfeld zu Zahnrädern und lotet in dieser Assemblage den Reiz der mehrfachen Gegensätze aus. Das Bedürfnis, einen Müllsack aus Plastikstreifen aus Müllsäcken 1:1 nachzuhäkeln ist vielleicht schwer nachvollziehbar, den Smile-Effekt erntet das Objekt dennoch. Krenkel ist eine passionierte Häklerin, die auch meterlange Häkelspitzen auf breite Kabeltrommeln aufrollt u.v.m.

Akribisch mit festen Maschen gehäkelt und figural exakt nachempfunden kauert der kleine „Bobbi“ in der Ecke neben der Dachbodentüre. Er schmollt oder er ist wütend. Jedenfalls ist er eine der gar nicht netten Figuren von Patrizia Waller (*1962 Santiago/Chile, aufgewachsen in Deutschland). Explizit ungut wird es bei der fleischfressenden Pflanze, die gleich beim Stiegenaufgang platziert ist. Da werden nicht Fliegen einverleibt, sondern aus einem „Maul“ hängt bluttriefend ein Kinderarm, aus einem zweiten ein Beinchen heraus. Verunglückt, vergewaltigt, erstochen, erschlagen, verwurstet und noch vieles mehr sind die Tier- und Kinderfiguren. „Wicked“ (böse, schlimm) seien ihre Skulpturen als Kontrast zur „heilen Welt“, wo Barbie und Playmobilfiguren agieren, wird die Künstlerin im Katalogheft zitiert. Und es begann mit einer Abrechnung mit dem oberflächlichen Vernissagenpublikum, das sich am intensivsten für das Buffet interessiert. Woraufhin es beim nächsten Mal nur gehäkelte Speisen vorgesetzt bekam, inklusive Wollbierglas.

Gewänder sind in allen Kulturen als Körperbedeckung von Menschen typisch. Insofern liefern Textilien Hinweise auf ihre TrägerInnen und Dechiffrierungen einzelner Elemente können aufschlussreich sein wie einige künstlerische Positionen zeigen. Aber wer hätte die schmuck sich in der Ecke rankende Flamingopflanze a) sofort als nicht echt und b) als aus ehemaligen deutschen Polizeiuniformen geschneidert erkannt? Nur wer die Pflanzen-Nachbildungen von Peter Rösel (*1966) aus früheren Jahren kennt – etwa seine Seerosen, Efeu oder Yucca – und hier eben Anthuria Grimpea Rösel und Moringa-Baum. Detailgetreu bis zur seidig-glänzenden Unterseite des Blattes oder Insektenfraß am Blattrand, und doch alles Täuschung – ein gewisses Markenzeichen Rösels, der auch in anderen künstlerischen Disziplinen aktiv ist. Eingang in die Ausstellung fanden auch die „Fleckerl-Puppen“ von Irene Stamp und die Schlümpfe von Lea Stein, zum Teil sehr freie Interpretationen der Gestalt, jedenfalls aber ungeniert drauflosgestichelt, um die kleinen „Persönchen“ zusammenzuhalten. Es scheint ein unbewusster Trieb zu sein, den Menschen oder ähnliche Wesen künstlich/künstlerisch zu erschaffen, zumindest nachzubilden, die einen machen Roboter, die anderen Comicfiguren, wieder andere Puppen und Wichtel.

Die Ausstellung bietet eine Bühne für einzelne herausstechende Werke und gezielte Werkgruppen von Künstlerinnen und Künstlern, die sich ausschließlich textiler Materialien und Techniken bedienen oder die für gewisse Themen und Objekte Fäden oder Stoff als das stärkste bzw. einzig mögliche Ausdrucksmittel erachteten. Das ist vielleicht der spannendste Aspekt und erzeugt die stärkste Resonanz zwischen Personen, sowohl jenen, die gerne textiles Material gestalten – vom losen Faden und Gespinsten bis zu Geweben und Maschenwerk, als auch bei jenen, die eine Affinität zu Textil haben oder können diese erst wecken. Doch das kann von Objekt zu Objekt variieren – und tatsächlich ist es auch bei dieser Zusammenstellung so, was den Vorteil hat, dass vielfache Lesarten enthalten sind: die mehr kurios bis ironische, die handwerklich-akribische, die intellektuelle, die innovative, die ästhetische, ... und das alles passt wunderbar zum Grundtenor des Hauses, der durch die Kunstpostition von Daniel Spoerri vorgegeben ist. Dass die Schau sogar anregen soll, dem Textilen weiter nachzuspüren, als sich mit dem Gebotenen schon zufrieden zu geben, beweist nicht zuletzt eine von Margret Baumann beigesteuerte Liste mit ca. 170 Publikationen und Links zur weiterführenden und vertiefenden Lektüre.
Ja, der Rote Faden ist sehr lang und die Wege vielfältig.

Mehr Texte von Aurelia Jurtschitsch

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Ein Roter Faden. Textile Wege in der Kunst
25.03 - 29.10.2023

Ausstellungshaus Spoerri
3493 Hadersdorf am Kamp, Hauptplatz 23
Tel: +43/664/88 45 47 87
Email: office@spoerri.at
http://www.spoerri.at/


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