Werbung
,

Peter Weibel (1944-2023)

In Karlsruhes Straßen geht es eher sauber bis clean zu. Graffiti auf Wohnhäusern in zentraler Lage der Stadt sind da eher ungewohnt. Alleine in der Jollystrasse, gibt es eine Adresse, wo sich Protagonisten der einschlägigen Sprayer-Szene ob der stets herunter gelassenen Rollos des Erdgeschosses wohl sicher und unbeobachtet fühlen durften. Die Räume hinter den verdunkelten Fenstern, so durften wir uns vor einigen Jahre überzeugen, waren unbewohnbar, vollgefüllte Regale zogen sich durch den Raum, dazwischen überbordend gefüllte Kisten, die anderen Räume sahen nicht viel anders aus. Es gab eine Schlafstätte und eine kleinere Freistelle am Esstisch, zur gelegentlichen Nutzung. Doch Peter Weibel, der hier schlief und bisweilen aß, war nun eher keiner, der Wohnlichkeit oder Interieurs jenseits ihrer Funktion als Bücherlager oder Arbeitsplatz für sich schätzte, als Lang- oder Vielschläfer konnte man ihn ebenso wenig bezeichnen.

Ursprünglich wollte Weibel, geboren 1944 in Odessa, aufgewachsen in Oberösterreich, Dichter werden. Schon in Grundschule war der Bub als blitzgescheit aufgefallen und für gewöhnlich wäre es dann der Klerus gewesen, der sich der weiteren Schullaufbahn und Förderung des Talentes angenommen hätte. Da dem Jungen jedoch als Protestant von dieser Seite her nicht geholfen werden konnte, war es in diesem Falle die weltliche Obrigkeit in Person des Bezirkshauptmanns, der für die Fortsetzung der höheren Schullaufbahn sorgte. Als 14-jährigen fiel dem Gymnasiasten dann das Rowohlt-Bändchen „Die Struktur der modernen Lyrik“ von Hugo Friedrich in die Hände und er nutzte es gleichsam als Anleitung für eigene Texte. Nach einem Jahr in Paris war Weibel, der nach diversen Studien seine Doktorarbeit im Fach Mathematik zwar geschrieben, doch nie eingereicht hat, in Wien schnell in das Umfeld der Wiener Gruppe gelangt, bald darauf auch an eine Handvoll junger Künstler, die heute als die Vertreter des Wiener Aktionismus gelten. Weibel war es auch, der diesen längst kanonisch gewordenen Begriff eingeführt hatte.

Jener Protagonist hat in seinem Leben schon einiges an Aufsehen erregendem gemacht. Hat seine Zunge einbetonieren lassen, hielt bei der „Uniferkelei“ genannten Aktion „Kunst und Revolution“ von 1968 eine ganz buchstäblich flammende Rede, ließ sich als Hund durch die Wiener Innenstadt führen und funktionierte den Privat-Pkw mittels Flagge am Rücksitz zur Staatskarosse um. Dass er hierfür mehrmals die Anklagebank drückte, war ebenso kalkulierbar wie eine dadurch resultierende mediale Aufmerksamkeit. Alleine fand diese publizistische Öffentlichkeit in den Jahren nach 1965 mitnichten in den österreichischen Feuilletons denn im Lokalteil der heimischen Gazetten statt. Das sollte sich über die Jahre noch ändern. Mehr und mehr wurde Weibel, dem multipeln Vermittler und streitbaren Intellektuellen überregionale mediale Aufmerksamkeit zu Teil. Von den Anfängen in der Poesie bis in die Medienkunst resultierte in Weibels Oeuvre das Eine aus dem Anderen und oft war es lediglich ein kleiner Transfer in eine andere Disziplin oder Medialität. Es wäre unter Verwendung differenter, oft modernster Medien, wie er es selbst formuliert hatte, eine Verlagerung von „Syntax und Semantik in Richtung Pragmatik und Materialität“ gewesen. „Ich bin Künstler geworden mit dem Versuch Poesie in das Performative und das Subjektive in die Medien zu übertragen“, erklärte er die Entwicklung seines Werdegangs. 

In den 25 Jahren, die Weibel dem Karlsruher ZKM vorstand, prägte er nicht nur sein Haus, sondern auch die Stadt. Nachdem der Ideengeber für zahlreiche aufsehenerregende Projekte des Stadtgeburtstags im Jahre 2015, die geplante künstlerische Ausstattung sämtlicher U-Bahnstationen an Markus Lüpertz, wegen ihres religiösen Inhaltes und der undemokratischen Vergabe ohne Ausschreibung kritisiert hatte, kam es allerdings zu lokalen Dissonanzen, bei dem der Oberbürgermeister der Stadt, dem prominenten Kritiker dem Vernehmen nach in aller Deutlichkeit seine Macht demonstrierte. Ein Zustand, der Weibel den Abschied der Stätte seines Wirkens des letzten Viertel Jahrhunderts zusehends leichter gemacht hatte.

Ein Biografieprojekt konnte bei aller Freundschaft schon deshalb nur scheitern, weil Weibel den Begriff „retrospektiv“ für sich nicht aktiv anwenden wollte. Immer gab es da mehrere Projekte, über deren Realisation er lieber sprechen wollte. Zuletzt berichtete voll Eifer er über einen Containerturm für seine 120.000 Bücher mit bewohnbaren Aufzug, den er nun in Wien realisieren wollte. Am 1. April wird sein Nachfolger Alistair Hudson die Direktion im ZKM antreten (--> das artmagazine berichtete), letzte Woche erst wurde bekannt, dass das Haus, nach einer großzügigen Schenkung des Künstlerdirektors nun ein umfassendes Konvolut an Kunstwerken und Archivalien angekauft hat. Die Vorstellung, dass die gigantischen Papierhaufen aus Weibels Büro und die wild gefüllten Kartons aus dessen Wohnung nun ins Depot verfrachtet werden, ließ mich bei der entsprechenden Pressemeldung schmunzeln. Nur ein Bruchteil des Werkes ist gesichtet, geschweige denn realisiert worden, vielmehr lagert es überwiegend ungeordnet, denn alleine die Idee zählt. Nicht ohne Grund bezeichnete sich der Meister als „idealen Nachlasskünstler“. Zu diesem ist der Medientheoretiker, Musiker, Lehrer, Museumsmann, Kurator, langjährige Österreich-Kommissär der Biennale von Venedig, Ideengeber, Impresario, Autor, Herausgeber, Lesende, Stapelnde, immer Getriebene, begnadete Käseesser und langjährige Freund unserer Familie, vier Tage vor seinem 79. Geburtstag und einen Monat vor dem Eintritt in den offiziellen Ruhestand am Abend des 1. März gestorben.

--
Abbildung: Onuk © ZKM | Karlsruhe

Mehr Texte von Daniela Gregori

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: