Versuch über die Schönheit: Schönheit muss leiden oder hinterlässt Wunden
Seitdem Prozesse der Globalisierung forciert werden, stößt die westliche Schönheitskonzeption wenig überraschend auf Skepsis. Da ich selbst Ausstellungskuratorin bin, frage ich mich manchmal, ob ich das Recht habe, Ausstellungen anderer zu rezensieren: Bejahend, böswillig oder kritisch ihre Intention infrage zu stellen, diverse abwegige Sinnfragen zu stellen oder über die Auswahl der Künstler*innen zu urteilen. Immerhin darf heutzutage jeder und jede vieles in Personalunion tun; sind jedoch solche Gepflogenheiten oder Gewohnheiten unter den gegebenen Umständen wahrhaftig „schön“? Gleichwohl wird man zweifelnd zwischen Ablehnung und Hingabe hängen gelassen.
Bei der Gruppenausstellung „Versuch über die Schönheit“ in der Wiener Galerie Crone stellt sich in Zeiten wie diesen die Frage nach dem Leitgedanken der Show, seiner Bedeutung, Legitimation und Kompatibilität mit dem alles andere als schön zu bezeichnenden Realen. Bedeutet der Begriff der Schönheit demzufolge eine selbstverliebte Provokation der schönen Künste, ein Eskapismus vor dem unerbittlichen Alltag oder vielmehr eine sich immer stärker abzeichnende Zäsur innerhalb des geltenden Weltordnungsgefüges, das vor unseren Augen buchstäblich zusammenbricht. Da kann der erneute Rekurs auf die Wirkungsmacht des Schönen möglicherweise eine notwendige Beihilfe zur Überwindung des Unmöglichen leisten. Und sollten alle vorher erwähnten Anklagepunkte fallen gelassen werden, bleibt noch zu klären, warum hier gerade auf diese Art und Weise über diese ästhetische Grundkategorie verhandelt wird. Also wozu brauchen wir „Schönheit“, wenn sie seit langem nicht mehr glaubwürdige Botschafterin der Wahrheit und des Guten von globaler Dimension ist, sondern an ihre Stelle effektvolle Banalisierungen, Infantilisierung oder konsumfördernde Berauschung am Bildhaften treten. Zumindest seit den beeindruckend-schockierenden Fotos der einstürzenden Türme des WTC oder von terroristischen Selbstmordattentätern greift die aktuelle Kunst jedenfalls oft spektakulär und (malerisch) effektvoll das Hässliche, Verfallene oder Aggressive auf, den Tod nicht ausschließend, so dass es der daraus resultierenden Schönheit ziemlich an den Kragen geht.
In Opposition zu dem jeweiligen Furor beginnt die Story bei Crone in einer stummen, schwarz-weißen Atmosphäre zuerst unspektakulär und leise, ohne hysterische Ausbrüche. Und trotzdem strahlen alle im Galerievorraum kumulativ zusammengestellten Arbeiten eine gewisse Brillanz aus, eine Art unterdrückten Glanz, der hervorsticht, wie alle schönen Dinge und Ideen. Es scheint, dass die Schönheit der Ideen in den hier präsentierten Werken von Robert Mapplethorpe, Rosemarie Trockel und Maria Loboda alles andere übertrifft. Auch den Schmerz, der diesen Arbeiten innenwohnt. Daraus ergibt sich das Fazit, dass unsere Welt so schön sein kann, wie weit wir bereit sind, uns trotz aller Hindernisse und Gefahren an ihrem Ideal zu orientieren. In der Fotografie Flower with the knife von Robert Mapplethorpe überwiegt die Idee des schönen Körpers, hier mit einer einmalig anmutigen weißen Lilie identisch, in der das Böse oder eine akute Bedrohung unterschwellig in Form eines Messers feststeckt. Rosemarie Trockel zeigt sich in der Fotografie eines Mannes (ihr Berliner Galerist) mit abgeschnittenem Ohr von der ewigen ir/rationalen Transzendenz der Idee des Schönen fasziniert, die nicht selten leidvoll in ihr Gegenteil umschlägt. In ihrer Machart sieht das Bild des Porträtierten wie von Geisterhand aufgenommen aus. In der Installation von Maria Loboda, einer Vertreterin der jüngeren Generation, spiegelt wiederum das Schöne in der An/Ordnung der Schrift als kultureller Wundercode mit einem schönen Design-Objekt, dem funktionalen Kult-Sessel Wassily von Marcel Breuer, eine besondere Raffinesse wider. Ähnlich wie Trockel weist Loboda einerseits auf den Usus ständiger Revision der Schönheitsideale mit Hilfe und im Kontext bestimmter wegweisender Zeit-Objekte hin, andererseits resultiert aus den auf dem Stuhl liegenden Briefe, die von dramatischen Schicksalsschlägen handeln, die Erkenntnis über den selbstkritischen Prozess des Lernens aus (eigenen) Fehlern. In der neuen Bourgeoisie wird bekanntlich die rationale Funktion statt emotional überfließender Worte zum maßgeblichen Schönheitsideal ernannt. Schönheit - so H.G. Gadamer soll aus Kunst oder Sprache extrahiert und nicht in sie eingeführt werden. Dieser puristischen Erfahrung diverser Standpunkte im Schönen nähern sich in den restlichen Galerieräumen auch andere Künstler*innen an, diesmal in Kontradiktion mit einer Wirkkraft der Farben jenseits von Schwarzweiß.
20.01 - 25.02.2023
Crone Wien
1010 Wien, Getreidemarkt 14
Tel: +43 1 581 3164
Email: info@galeriecrone.com
http://www.galeriecrone.com/
Öffnungszeiten: Di-Fr 14-18, Sa 11-15 h