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Haus-Rucker-Co - Atemzonen: Räume atmen langsam

Eine Revolution kann viele Formen annehmen. Der 7. Juni 1968 markiert den Beginn einer der nachhaltigsten Umwälzungen in der jüngeren österreichischen Kunstgeschichte. Unter dem Titel „Kunst und Revolution“ veranstalteten Günter Brus, Otto Muehl, Peter Weibel und Oswald Wiener als führende Protagonisten, sowie VALIE EXPORT und der Journalist Malte Olschewski ihre legendäre Aktion im Hörsaal 1 des NIG (Neues Institutsgebäude) und setzten damit den Beginn zur Geschichte des Wiener Aktionismus, der demnächst mit einem eigenen Museum in Wien gewürdigt wird.

Keine zehn Minuten Fußweg davon entfernt, installierte eine andere Gruppierung just an diesem Tag, eine nicht weniger revolutionär gedachte, jedoch unter völlig anderen künstlerischen Prinzipien entwickelte Apparatur. Das Gelbe Herz, erdacht und gebaut von der noch jungen Gruppe Haus-Rucker-Co landete UFO-gleich in einer riesigen Baugrube am Schottenring. Bereits im Jahr davor waren ihre Gründer Laurids Ortner, Günter Zamp Kelp und Klaus Pinter mit einer ähnlich gelagerten Raumerweiterung aufgefallen: Eine pneumatische Blase aus transparentem Kunststoff schob sich aus dem ersten Stock eines Zinshauses im siebenten Wiener Gemeindebezirk. Drinnen fanden zwei Personen Platz, die über der Gasse schwebten und so neue (Raum)Erfahrungen sammeln sollten. Die Aktion war für die „Ballonfahrer:innen“ nicht ganz ungefährlich, doch immerhin gelangen dem Team eine Reihe von guten Fotos – was auch der eigentliche Zweck der Aktion war, wie Günter Zamp Kelp im Gespräch anlässlich der Ausstellung aus den Beständen seines Archivs im Lentos Kunstmuseum Linz zugeben muss.

Während der Aktionismus die Brechstange ansetzte um die verkrusteten gesellschaftlichen Strukturen im Österreich der 1960er und 70er Jahre zu sprengen, setzte Haus-Rucker-Co auf Soft-Power und Pneumatik um eine „Bewusstseinserweiterung ohne Drogen“ bei den Rezipient:innen zu initiieren. Dabei konzentriert sich die Gruppe auf das Individuum, das in den durch Luftpumpen beatmeten Räumen Ruhe, Entspannung und saubere Luft zum Atmen finden sollte. In ihren Mind Expandern sollten vor allem Paare neue Wege der Kommunikation und Interaktion finden. Für den 1967 ausgeschriebenen Wettbewerb „Interdesign 2000“ entwickelten sie ihren Pneumacosm zu einem Entwurf für eine Megastadt weiter, in der luftgetragene, kugelförmige Wohneinheiten für 10 bis 15 Personen nach Bedarf an eine vertikale Stadtstruktur angekoppelt werden. Die frühen Entwürfe der Gruppe, die sie selbst im Rahmen einer Ausstellung unter dem Titel Vanille Zukunft präsentierten, waren getragen nicht nur von Luft, sondern auch von einer großen Leichtigkeit und einer gewissen Hinwendung zu einer Spaßkultur, ohne jedoch in eine reine Eventkultur abzugleiten. Im Rahmen der aufkommenden Ökologiedebatte zu Beginn der 1970er Jahre wandelte sich das Raumkonzept von Haus-Rucker-Co vom Erfahrungs- zum Schutzraum, was schließlich zur Ausstellung Cover. Überleben in verschmutzter Umwelt  in Krefeld führte. Das gesamte Haus Lange, das gemeinsam mit dem benachbarten Haus Esthers 1927/28 von Ludwig Mies van der Rohe als Privathaus für die befreundeten Seidenindustriellen Hermann Lange und Dr. Josef Esters entworfen worden war, verpackten Haus-Rucker-Co in eine riesige Traglufthalle. Als Klimaschutzraum sollte die Konstruktion ein Überleben in einer vergifteten Umwelt ermöglichen. Danach folgten Entwürfe wie das Big Piano, oder die „Landschaft im Dia“, ein großer Rahmenbau der für die documenta 6, 1978 realisiert wurde, die das Spielerische in Architektur und Stadtplanung betonen.

Die Ausstellung, die zum größten Teil aus dem von der Stadt Linz angekauften Vorlass von Günter Zamp Kelp zusamengestellt wurde, setzt nicht auf die teils spektakulären Präsentationen wie das 2007/08 im Lentos re-inszenierte „Riesenbillard“, sondern macht auch die gesellschaftlichen Ideen und Gestaltungsprinzipien der im Jahr 1992 wieder aufgelösten Gruppierung spürbar. Vielleicht wären aktuelle Herausforderungen unserer Gesellschaft wie der Klimawandel, aber auch zunehmende Individualisierung und Vereinsamung weniger drängend, hätten die Vorschläge von Haus-Rucker-Co beitere Akzeptanz und vermehrte Umsetzung gefunden. Mögliche Weiterentwicklungen präsentiert eine kleine Zusammenstellung von Werken junger Studierender der Kunstuniversität Linz, die in Dia­log mit Wer­ken von Haus-Rucker-Co ent­stan­den sind.
Das Lentos zeigt jedenfalls, dass es genügend Material gibt, um aus der Geschichte für eine vanillefarbene Zukunft zu lernen.

Mehr Texte von Werner Remm

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Haus-Rucker-Co - Atemzonen
06.10.2023 - 25.02.2024

Lentos Kunstmuseum Linz
4020 Linz, Ernst-Koref-Promendade 1
Tel: +43 70 7070 36 00
Email: info@lentos.at
http://www.lentos.at
Öffnungszeiten: täglich außer Mo 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr


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