Werbung
,

Olivia Erlanger - Appliance: Die Psychologie der Dinge

Nachdem sie mit Luis Ortega Govela ein Buch über die Garage und ihre verkannte Bedeutung geschrieben hat, legt Olivia Erlanger im Kunstverein Gartenhaus mit einer Ausstellung plus Publikation zu den wichtigsten, oft übergangenen Dingen im typischen Haushalt nach. Aber Appliances kann noch viel mehr...

Olivia Erlanger hat Skulptur studiert und Literatur und so ist es nur logisch, dass ihre Ausstellung im Kunstverein Gartenhaus nicht nur Ausstellung ist, sondern von einer Buchpublikation begleitet wird, die es in sich hat. Fünf kurze Essays referieren anschaulich und in wunderbarer Sprache die Kultur- und teilweise auch Kunstgeschichte einiger Geräte, die in weiten Teilen der Welt die Fixpunkte eines Haushalts ausmachen: Ofen, Toilette, Kühlschrank, Dusche, Fernseher. Die Themenwahl ist so entzückend unprätentiös, gleichzeitig von erhabener Allgegenwärtigkeit, und der Stil so haptisch, dass man der Erzählerin sofort verfällt.

Jeder Essay verläuft zweispurig. Der eine Teil nimmt immer einen distanziert-historischen Standpunkt ein, beleuchtet das entsprechende Objekt in wissenschaftlicher Manier. Hier erfährt man über Erfinder:innen und die Entwicklung der Form und oft wird der Rückschluss auf gesellschaftliche Rollen vorweggenommen. So wird zum Beispiel aufgezeigt, wie die Waschmaschine die Rolle der Frau revolutionierte, erst eine Erleichterung der Hausarbeit und mehr Freizeit versprach, aber eigentlich den Frauen ermöglichte, so am Arbeitsmarkt außerhalb des Heims teilzunehmen. Der Effekt auf die Stellung „der Frau“ ist ein wichtiger Strang der Texte, aber bei weitem nicht der Einzige. Oft ist, und das vor allem im parallel verlaufenden zweiten Teil, entlang persönlicher Anekdoten ein eher inneres, psychologisches, vielleicht übergeschlechtliches Bild gezeichnet.

Wird der akademische Part nie spröde, so wird der persönliche Part nie trivial. Im Gegenteil, die Anekdoten strotzen so sehr vor allegorischem Potential, dass die Glaubwürdigkeit fast darunter leiden könnte. Was jedenfalls unerheblich wäre. Wichtig ist, dass den Selbstzweifeln und Sinnsuchen, Ortlosigkeiten und Liebesverlangen einer:s Jeder und Jeden eine gemeinsame Stimme gegeben ist, die sich dadurch auszeichnet, dass es ihr gelingt, das Allgemeine im Spezifischen zu transportieren. Was in den Essays noch Metapher ist, wird im Schauspiel „Humor in the Water Coolant“, dass die Textsammlung abrundet, wortwörtlich.

Die Protagonisten sind Fridge, Shower, Oven und Lamp, sowie House, die ihre Besitzerin: Sophie heimsuchen und mit ihrem Spuk in den Wahnsinn zu treiben drohen. Unter der Vermittlung der zur Hilfe gerufenen Crystal bringen die Poltergeister schließlich ihre Anliegen vor, Sophie verspricht, sich besser zu kümmern und es gibt ein Happy End. Eine interpretierende Leseart läge wohl House als Sinnbild Sophie’s Innenleben nahe, und die vier Appliances als Sprachrohre, die ihre Wünsche nach Liebe, Sicherheit, Acht- und Aufmerksamkeit artikulieren. Vor dem Hintergrund dieser Parabel ist die Gestaltung des Raums als Bühnenbild zu sehen. Mit den einfachen Mitteln eines readymade Kühlschranks, Ofens, einer Kloschüssel samt -bürste und co. wird eine Fernsehecke, Küche, Bad, kurz: ein typisches Heim vorgestellt. Der Naturalismus der Objekte, die alle gebraucht sind und eine Patina zwischen heruntergekommen und heimelig mitbringen, wird nicht so weit getrieben, dass die Geräte funktionstüchtig sind. Man kann den Ofen zwar öffnen, aber nicht anschalten. Sich aufs Klo setzen, aber...nun ja, man könnte schon. Wände fehlen genauso wie Menschen, und weil Menschen den Dingen erst eine Funktion geben und sie hier also der ihren beraubt sind, wird der Kühlschrank zum Kunstwerk. Oder erhebt er sich zum Kunstwerk? Die Fremdbestimmung und Abhängigkeit, der Sinn nur zweiten Ranges, über den Oven so jammert, aber auch die Wandelbarkeit der Dinge ist neben den inneren Kämpfen und des Körper-Problems (Alter, Geschlecht, Hygiene, Essen) von Sophie aka. Olivia E. das zweite große Thema der Arbeiten und lässt sich dank der Universalität des Motivs – des Zuhauses – glänzend über sie hinaus projizieren. Man wird allerdings weder den Texten, noch den Objekten, noch diesem Gesamtwerk kaum gerecht, wenn man es versucht zu fixieren. Am besten also, man schaut es sich selbst an – in situ, oder über den --> Instagram-Account vom Kunstverein Gartenhaus, wo die Aufführung von „Humor in the Water Coolant“ als Videoaufzeichnung von der Vernissage zu Verfügung steht und die Rollen besetzt zeigt von leibhaftigen Menschen – vielleicht ein Hinweis auf die eigentlichen Protagonist:innen von „Appliances“ und die Metaphern zurückführt an ihren Ausgangspunkt – die Menschen und ihre Körper.

Mehr Texte von Victor Cos Ortega

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Olivia Erlanger - Appliance
09.09 - 29.10.2022

Kunstverein Gartenhaus
1010 Wien, Coburgbastei, Parkring 12A
Tel: +43 660 2363177
Email: info@kunstverein-gartenhaus.com
https://kunstverein-gartenhaus.com/
Öffnungszeiten: Fr 12-18, Sa 12-16 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: