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Risikogesellschaft

"Wenn das Risiko des Scheiterns ausfällt, wird es Dekoration." Manchmal trifft man auf einen Satz, der einen aus seiner Lethargie des Eh-schon-wissen herausreisst, und der eben zitierte ist so einer. Er stammt von Ulrich Oevermann, dem Frankfurter Soziologen. Wenn das Risiko des Scheiterns ausfällt, wird es Dekoration. Das ist der Kunst mitten ins Stammbuch gesagt. Nicht gemeint ist damit ein Plädoyer auf Verkanntheit, denn natürlich ist es auch Scheitern, wenn es nichts wird mit der künstlerischen Karriere. Gemeint ist mit dem Satz, dass der Rest irgendeiner Gefahr lauern muss, sei es Misslungenheit, Unverständnis oder gar Beschimpfung, wenn man sich an ein Objekt, Projekt, Konzept macht. Und genau daran hapert es um so deutlicher, je vielfältiger und ausgreifender der Betrieb seine Institutionen um sich schart. Wenn man also einen Künstler einlädt, seine Inkompetenzkompensationskompetenz einzusetzen und eine Wand zu bauen oder ein Bild an die Fassade zu kleben, dann ist daran nichts riskant, weil die Architektur gewissermaßen per Ausschreibung als verbesserungswürdig ausgewiesen ist und die künstlerische Intervention von vornherein als diese Verbesserung gilt. Wenn also ein Künstler beim Abendessen mit dem Sammler ein wenig die Sau rausläßt und prahlt mit seinem Potential und seiner Potenz, dann ist daran ebenfalls nichts riskant, weil ein Künstler darf das ja, wie man so sagt. Und wenn also ein Künstler überhaupt eine Ausstellung macht und sich der Öffentlichkeit in den Rachen wirft, dann ist daran auch nur noch riskant, dass keiner hingeht, und das wäre genau der Mechanismus der Verkanntheit, von deren spezieller Dimension des Scheiterns man wirklich nichts hat. Wenn das Risiko des Scheiterns ausfällt, wird es Dekoration. Ja, und dann zieht der Belgier Francis Alys nach Mexico City, läuft dort mit geladenem Revolver in der Hand herum und läßt sich dabei filmen. Und dann zieht Oliver Ressler von Anti-Globalisierungsdemo zu Anti-Globalisierungsdemo und blickt der Polizei mit gezückter Kamera ins Visier. Und dann zieht Andrea Fraser sich aus, legt sich mit irgendjemandem ins Bett, der 10.000 Dollar zahlt, und treibt Prostitution auf Zeit. Dann also machen die Künstler ihr Leben riskanter. Und hoffen, dass dadurch das Dekorative aus der Kunst verschwindet.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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