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Kämpfe um Körper, Psyche, Sexualität und Struktur

Wenn dieser Tage der Zusammenhang zwischen Narzissmus und patriarchalen Strukturen durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine auf traurige Weise deutlich wird, dann sind zwei von vier Ausstellungen in Warschau in ihrer Analyse zum Thema Gewalt an Frauen, Kindern, Transpersonen auf erschreckende Weise aktueller als aktuell: es geht um skrupelloses Durchsetzen eigener Machtinteressen im privaten Bereich und das damit verbundene Ausmaß der Zerstörung und auch um politische Systeme, die sich mit Hilfe ihrer Legislative in private Entscheidungen von Frauen einmischen.

Das Private ist politisch– dieser Kampfslogan der zweiten Frauenbewegung der 1970er Jahre, ausgehend vor allem von anglo-amerikanischen Künstlerinnen öffnete neue Politikfelder und  sorgte für eine epochale Bewusstseinsbildung, die die Zusammenhänge des Politischen in das Private hinein entblößten.
Wenn die Kriegserklärung an die Ukraine uns alle schockiert und in Ohnmacht versetzt, dann ist das ein gemeinsames Gefühl mit Opfern von sexualisierter Gewalt:
Ohnmacht, Isolation, Unglaube und Starre.
Sexualisierte Gewalt, die sich von alltäglichen, allgemein verharmlosenden Grenzüberschreitungen über Terrorbeziehungen bis hin zur Ermordung auswirkt, wird von der Mehrheit der Menschen als „normal“ empfunden und wird so Filmen, Musik, Phantasien etc beigefügt, ohne, dass dies störend empfunden wird.

Die Ohnmacht und das Ausgeliefertsein, das Opfer fühlen, verlässt sie ein Leben lang nicht. Das meiste kommt nie ans Tageslicht, ist es doch transnational organisiert und ein lukratives Geschäft (Menschenhandel, moderne Sklaverei, Pädophilenringe).

Wenn die noch bis zum 21.4.2022 laufende Ausstellung „Take My Eyes“ in der Warschauer Galerie „lokal_30“[1] genau diese verschiedenen Aspekte sexualisierter und sexueller Gewalt an Frauen, Kindern, Transpersonen und auch zum Teil symbolisch an Tieren, zum Anlass nimmt, um diese zu thematisieren -oder wie es modern ist, zu schreiben: analysieren, dann gelingt es der Leiterin und Kuratorin Agnieszka Rayzacher in Zusammenarbeit mit Kinga Cieplińska, dem Centrum Praw Kobiet und TR Warszawa, damit einen vielfältigen und bewegenden Beitrag zu gestalten. Dabei wird Gewalt nicht direkt gezeigt, sondern über sie und ihre Auswirkungen gesprochen.

Die Videoarbeiten der Künstlerin Katya Shadkovska decken das System von Pädophilie mit ihren patriarchalen Eigenschaften im Privaten auf und demaskiert sie als Teil von perfiden Plänen, sich zum Beispiel wie in dieser Arbeit die „perfekte Frau“ von klein auf (sechs Jahre) heranzuziehen. Diese Arbeit ist die am betroffen machenste und lässt niemanden kalt. Nicht wenige davon Betroffene kommentieren diese Arbeit mit: „...ja genauso ist es, genau so!“

Katarzyna Malejka greift in Ihrer Arbeit „I believe you, Zuzanna“, die gleichzeitig  eine Antwort auf Zuzanna Janins Arbeit: „Noone will believe you“ eines der vielen Mythen, die um das Thema Gewalt an Frauen/Kindern kreisen, auf:

Die Glaubwürdigkeit der Opfer, die abgesichert durch gesellschaftlich verankerte Mythen und Verhaltenskodexe immer noch leicht zu erschüttern ist und nach wie vor die Mehrzahl von Betroffenen davon abhält, auf- und anzuzeigen.

Zuzanna Janin entdeckte Katarzyna Malejka´s Arbeit zufälligerweise auf einer Kommunikationsplattform im Internet. Diese inspirierte wiederum auch Pawel Zukowski zu seiner Projektion, die auch schon als Banner in polnischer Sprache in Österreich (Kunstverein Schattendorf, Kurator Siggi Hofer) zu sehen war.

Regina José Galindo, eine guatemaltekische Künstlerin, thematisiert in ihrer Videoarbeit eine typische Gruppenvergewaltigung in ihrem Land, wie sie alle 46 Minuten stattfindet und meist straffrei durchgeht. Meistens werden dazu ko-Tropfen verwendet, um sich so Gegenwehr oder ein Zeuginnentum zu ersparen.

Anna Orbaczewska greift in ihren Malereien verschiedene Gefühlslagen von sich in toxischen Beziehung befindenden Menschen auf und auch die Künstlerin Simone Karl setzt sich mit toxischen Beziehungen auseinander und visualisiert in ihrer Installation „8“ auf eindrucksvolle Weise die von der Kriminologin Dr. Jane Smith ausgemachten acht Stufen, die innerhalb einer solchen Beziehung zum Mord/ Femicid führen können.

In der bis Ende März verlängerten Ausstellung „Who will write the History of Tears? – artists on womens rights“, im Museum on the Vistula, einem Ausstellungsraum des Museum moderner Kunst Warschau, wird vor allem der polnische Kampf gegen das umstrittene Abtreibungsgestez behandelt und in internationalen Kontext gesetzt. Eine mutige Ausstellung, die den großen und einzigen Ausstellungsraum in kleine Unterräume gliedert. Diese gehen von einer riesigen Vagina aus, die auf die zweite Frauenbewegung mit ihrem Kampf auf das Bestimmungsrecht über den eigenen Körper Bezug nimmt.

Neben bekannten Künstlerinnen wie Barbara Kruger und den Guerilla Girls, Teresa Tyszkiewicz, Agata Slowak, Ana Mendieta, Paula Rego und Elena Tejada-Herrera, kommen hier Künstlerinnen aus vielen Teilen der Welt zu Wort, auch Aktivismus und künstlerisch-politische Gruppierungen sind zu sehen, vielfach bleiben diese Beiträge aber in der Dokumentation stehen.

Von der Künstlerin Anna Janczyszyn ist ihre Diplomarbeit aus dem Jahr 1993 zu sehen: Wir sehen sie in einem für heute nostalgisch anmutenden Szenario Warschaus am Boden kriechend die Stadt durchqueren. Immer wieder kommt es in dem längerem Video zu Szenen, die für Zusehende gefährlich wirken, etwa, wenn sie einen stark befahrenen Highway überquert, oder von Männern hochgehoben wird, schlussendlich schafft es die Künstlerin, sich in ihrer Position zu behaupten und unbeirrt ihren Weg zu kriechen.

Zwei weitere Ausstellungen runden das polnische Erwachen von feministischen und Frauen- bzw ihnen zugeschriebenen Themen ab: in der Zacheta gibt es noch bis um 6. März 2022 eine Einzelausstellung von Tereza Gierzynska, die nun mit ihrem Werk entdeckt wird, das Fotocollagen und Fotoarbeiten um das Thema Sexualität, Körper, Lust beinhaltet. Interessant sind hier kleinere Objekte aus Gips, auf die die Künstlerin direkt belichtete.

Und in der Studio Gallery im Kulturpalast werden zwei Künstlerinnen und ihr poetisches Zusammenspiel ihrer Arbeiten gezeigt: Alicja Bielawska und Barbara Falendar.

2017 organisierte die Gallerie lokal_30 übrigens die Ausstellung „Do or Die“, in der die Künstlerin Oksana Briukhovetska den Krieg in der Ukraine anhand eines Soldaten, den sie im Zug kennenlernte, in ihrer Arbeit „Uncle Tolia“ thematisierte.

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Die Ausstellungen

„Take My Eyes“
lokal_30, bis 21. April 2022
http://lokal30.pl/wystawy/take-my-eyes/

„Who will write the History of Tears – artists on womens rights“
Museum of Modern Art Warschau, bis 27.März.2022
https://artmuseum.pl/en

„Women Live for Love - Tereza Gierzynska“
Zacheta Gallery, bis 6. März 2022
https://zacheta.art.pl/en/wystawy/kobiety-zyja-dla-milosc

„Materia(l)ne - Alicja Bielawska und Barbara Falendar“
Studio Gallery, bis zum 17.4.2022
https://teatrstudio.pl/en/

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[1] Anm d. Redaktion: Die Autorin ist mit ihren Kunstwerken in dieser Ausstellung vertreten.

Mehr Texte von Fiona Rukschcio

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