CATPC und Renzo Martens: Kapitalistischer Antikolonialismus
Der niederländische Künstler Renzo Martens (Jg. 1973) ist eine feste Größe im internationalen Ausstellungsbetrieb, gerade wenn es um politisch und sozial engagierte, „kritische“ Kunst geht. Dies umso mehr, weil Martens kritische Kunst als Einsatz versteht, den es im Sinne von künstlerischer Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme produktiv zu machen gilt. Mit seiner Kunst will er in konkretem, funktionellen Sinn Fakten schaffen. Mittels geschaffener Fakten „als Kunst“ vermengt er funktionale und symbolische, ästhetische und ethische Dimensionen – etwa bei seinem Langzeitprojekt in Lusanga/Kongo. Dort hat Martens auf einer einst von Unilever betriebenen Plantage 2014 die hauptsächlich von Palmölgewinnung – und in extremer Armut – lebenden Bewohnern für einen Cercle d’Art des Travailleurs de Plantation Congolaise (CATPC) gewonnen. Die Gruppe stellt ihre durch Martens‘ Institute for Human Activities in Serie produzierte Schokolade-Abgüsse von in Lusanga gefertigten Prototypen weltweit aus. Damit erzielte Verkaufserlöse fließen vor Ort in den Rückkauf von Land zur landwirtschaftlichen Nutzung. Und sogar schon ein Museum für zeitgenössische Kunst wurde gegründet. Davon handelt der 2020 realisierte, viel gezeigte Langfilm Martens’, „White Cube“, der in der als gemeinsames Projekt mit dem CATPC angekündigten Schau „Balot“ in der Berliner Galerie KOW wieder zu sehen ist. Ein Mix aus Doku-Feature und PR-Film re-inszeniert „White Cube“ den Prozess, der zur Errichtung des von OMA Architects entworfenen Baus in Lusanga führte.
Daran anschließend, ist die „Balot“-Schau Aufhänger einer PR-Kampagne für ein CATPC/ Martens-lanciertes Non-Fungible Token (NFT): eine digital zertifizierte und zur Ausstellung „gemintete“ (Bild-)Edition; wieder sollen die Erlöse aus deren Verkauf in das Lusanga-Projekt fließen.
Vor allem will „Balot“ als Diskursintervention aber in die hoch emotional geführte Debatte um die Rückgabe afrikanischen Kulturguts eingreifen, mit aufmerksamkeitsökonomisch entsprechend hochgetrimmtem Wording. Interessanter die Hintergründe zum Projekt: „The Plantation and the Museum“ (2021) versammelt als sechsteilige Videoinstallation Gespräche zwischen CATPC-Vertretern und verschiedenen Sachverständigen. „Balot“, eine 1931 entstandene Figur und, 1972 von einem US-amerikanischen Sammler im Kongo erworben, heute im Besitz des Virginia Museum of Fine Arts (VMFA), bezieht sich auf einen im Zuge einer Revolte der Pende gegen koloniale Ausbeutung getöteten belgischen Kolonialbeamten und diente dem Volk als Kraftobjekt. Dessen – laut Pressetext – „Kräfte“ sollen nun „magisch“ als NFT mobilisiert werden, nachdem das VMFA Leihanfragen des CATPC bezüglich einer Ausstellung im „White Cube“ bisher abgelehnt hat.
Die Koppelung medialer Reizthemen mit NFT als dernier cri der Kunstwelt passt zu Martens‘ bisheriger interventionistischer Praxis, die sich „als Kunst“ bei enormem Materialeinsatz diskursförmig präsentiert. Das zieht Fragen auf sich. Jenseits der Schau schließt das aktuelle Martens/ CATPC-Joint Venture zugleich diskursive wie konkrete Schauplätze, reale Ereignisse und Akteure (die CATPC-Mitglieder Matthieu Kasama und Cedart Tamasala bei ihrer „Balot“-Recherche) ein, während Martens, anders als noch in „White Cube“, hinter dem Projekt unsichtbar wird – ohne daraus zu verschwinden. Wie bei einem Schneeballsystem bleibt unklar, wo und nach wessen Regeln die Fäden für das vielgliedrige Narrativ zusammenlaufen. Dieses nimmt für sein „Funktionieren“ als Echtzeitexperiment seinerseits die Verkürzung komplexer historischer, gesellschaftlicher, ökonomischer und spezifischer kultureller Zusammenhänge auf PR-Punchlines, die Umwandlung konkreter Lebensumstände in vor allem fürs internationale Kunstpublikum attraktive Metaphern in Kauf. Durchaus ein Lehrstück, das in seinem „Realismus“ aber ganz schön „kapitalistisch“ bleibt.
11.02 - 09.04.2022
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