Alan Michael - Playlife: Maler der verlorenen Utopien
Parkende Kleinwagen in den menschenleeren Straßen von London City sind wohl relativ unverdächtig, einen neuerlichen Malereiboom auszulösen. Zu wenig luxuriös. Zumal, wenn sie im Stil eines Hyper-Realismus der sechziger Jahre daherkommen, der bisweilen kaum noch von der billigen Werbeästhetik zu unterscheiden ist, mit der namhafte Automobilkonzerne in den zweitausender Jahren versuchten, ihre Produktpalette als Updates bekannter Klassiker an die Kundschaft zu bringen. Malerei wird hier leicht zu dem, was ihr verächtlich schon sehr lange vorgehalten wird – Flachware.
Doch genau darin liegt die konzeptuelle Raffinesse des schottischen Künstlers Alan Michael, die er in seiner aktuellen Ausstellung „Playlife“ in der Lüneburger Halle für Kunst ausspielt. Das Happy „Fainting of Painting“, wie es ein Reader von Hans-Jürgen Hafner und Gunter Reski unlängst diagnostizierte, wird zu einer doppelbödigen Gegenwartsdiagnose. Die Selbstreflexion der Malerei, die Michael an allen Ecken und Enden durch exorbitanten Einsatz von Spiegeln, glänzenden Oberflächen und allerhand Effekten vorführt, zeigt nicht mehr die ‚Moderne im Rückspiegel‘, sondern hat sich längst von jedweder hochkulturellen Referenz losgesagt. Vielmehr reizt hier die popkulturelle „Retromania“, die Simon Reynolds als Fixierung auf Vergangenes in Ermangelung eines zeitgenössischen Sounds beschrieb. Michaels Malerei zeigt selbst davon nur den kommerziellen Teil, der schlecht gealtert aktuelle Lebensräume besetzt. Die passenden Stichwortgeber*innen erscheinen damit weniger im Bereich des engeren Malereidiskurses zu liegen, als vielmehr im Feld einer an den britischen Cultural Studies geschulten Gegenwartskritik. Während in den sechziger Jahren junge Künstler:innen wie Gerhard Richter oder Konrad Lueg ihre Malerei noch als ironische Waren in einem Düsseldorfer Möbelhaus anpreisen konnten, mag gegenwärtig eher Mark Fishers These zutreffen, wonach ein Ende der Welt leichter vorstellbar wäre, als ein Ende des Kapitalismus. Fisher beschreibt eine Gegenwart, die von den verlorenen Utopien der Vergangenheit heimgesucht wird, ohne noch Raum für eine andere Zukunft zu lassen.
So gesehen zeigt die Ausstellung „Playlife“ eine Reihe zeitgenössischer Historiengemälde. In den glänzenden Oberflächen der Autos spiegelt sich die Krise des urbanen Raums. Längst sind die Immobilien in Stadtzentren von Metropolen für die allermeisten unbezahlbar geworden. Die Mittelklassewagen der Jahrtausendwende wirken wie Spielzeuge von gestern. Die begehrten Altbauten stehen häufig leer oder dienen nur noch als unbelebte Spekulationsobjekte auf einem überhitzten Immobilienmarkt.
Insofern ist es auch nur konsequent, dass Michael für seine Ausstellung in der Halle für Kunst Kopien älterer Arbeiten angefertigt hat – denn was könnte es noch ‚Neues‘ geben. Die Akribie der malerischen Produktion geht in die Wiederholung und wirkt damit umso mehr aus der Zeit gefallen. Die formale Aneignung einer fotografischen Ästhetik, die mit fragmentierten Ausschnitten, perspektivischer Verkürzung bis hin zu der weißen Umrandung, wie bei einem Polaroid, sind maximal auf Lifestyle getrimmt. Doch handelt es sich hier wohl um eine malerische Form der Street Photography, der alles Lebendige im Bild abhanden gekommen ist. Zwei kleinformatige Malereien mit den sprechenden Titeln „literally show me a healthy person“ (2021) und „Soft Split“ (2021) sind überdies mit einer Plexiglashaube überzogen, als ob zu der Distanz zwischen Bild und Betrachter*innen auch noch die letzte Gefahr der Berührung zu unterbinden wäre. Die Appropriation des Labels „Boiler Room“ – einer populären Party-Plattform – als Wandmalerei, hätte es vielleicht gar nicht mehr gebraucht. Längst ist klar, Party ist nur noch als „Retromania“ eines hedonistischen „Playlife“ zu haben. Im Ausstellungsraum ist es kalt.
31.10 - 19.12.2021
Halle für Kunst Lüneburg
21335 Lüneburg, Reichenbachstrasse 2
Tel: +49 4131 402001, Fax: +49 4131 721344
Email: info@halle-fuer-kunst.de
http://www.halle-fuer-kunst.de
Öffnungszeiten: Mi-So 14-18 h