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Judaskuss als Infektionsgeschehen

Thomas D. Trummer – Bilder der Pandemie

Die Monate der Pandemie, wann auch immer sie endgültig für beendet erklärt wird, sie werden nicht spurlos an uns vorüber gegangen sein. Abgesehen von den rund fünf Kilo plus um die Körpermitte, die, wie es scheint obligatorisch sind, kommunikative Verhaltensweisen, die hart an der Grenze zum unsozialen sind und einem deutlichen Trend zur Produktion und Verarbeitung von aufwendigen Teigen aller Art, gerät man bisweilen bei rezipierenden Vorgängen ins Stocken. Kommen sich die Menschen in Filmen nicht bedrohlich nahe, schütteln sie nicht allzu selbstverständlich die Hände zum Gruß und überhaupt, wo bleiben die Masken? Auch sonst ist die Aufmerksamkeit seltsam verschoben. Glücklich steht man seit Monaten erstmals wieder im Museum vor einem Original, doch auch hier spuken einem Gedanken in das freudige Betrachten, die plötzlich das Fehlen von Distanz auf den Bildern gemahnen, die uns Details finden lassen, die man früher ganz anders gedeutete hätte.

Mit der Ausstellung „Unvergessliche Zeit“ reagierte Thomas D. Tummer, Direktor des Kunsthaus Bregenz und langjähriger artmagazine-Kolumnist wohl als einer der Ersten kuratorisch auf die Pandemie und zeigte acht Positionen rund um das Thema und wie ihm von künstlerischer Seite begegnet wird. (Siehe die artmagazine Kritik) Die Einladung zur Eröffnung Anfang Juni 2020 zierte, das nachgerade visionäre Bildnis „Greta“ von Markus Schinwald, ein historisches Porträt, dem bereits vor 10 Jahren in gemalter Feinmanier eine Stoffmaske verpasst wurde. Offensichtlich hat die Thematik Trummer dann noch weiter beschäftigt.

„Bilder der Pandemie“ ist der Titel einer Sammlung von 61 Kunstbetrachtungen von Werken aller Epochen, die der Autor im Verlauf des Jahres 2020 verfasst hat, Reflexion von überwiegend mehr oder weniger Bekannten zu einer weniger als mehr geläufigen Situation. Der Judaskuss von Giotto wird zum Infektionsgeschehen, der gängige Mondrian, der bislang Eingang durch Mode und Werbung Eingang in der Konsumkultur gefunden hat, wird zum Wohnungsgrundriss, eingeteilt in Territorien, sei es nun während eines Homeoffice im Kreise der Familie oder um Erkrankte von Mitbewohner zu separieren. Und lebten wir kürzlich nicht in Zeiten, in denen der Balkon als einzige Schnittstelle zwischen Privat und Öffentlich einer Relevanz zu teil wurde, die an Sanja Inveković und ihre Performance „Trokut (Dreieck)“ aus dem Jahr 1979 denken lässt?

Manches, was Trummer darlegt, ist von überzeugender Evidenz, einiges verblüffend in der Herleitung, bisweilen sind es überraschende Assoziationen, die den Bogen spannen und mitunter ist der Weg, wo sie her geholt wurden nicht der aller nächste, doch landen sie immer an einem Punkt, wo der Gedanke völlig triftig erscheint. Das handlich, unprätentiös gestaltete, taschentaugliche Bändchen eignet sich bestens als Ferienlektüre für unterwegs zum ersten Urlaub, als Baedeker für den nächsten Lockdown und als Vademecum beim Anstellen zum Impfen, Testen oder was auch immer. Was diese Capriccios allesamt sind: kurzweilig, inspirierend, schlicht lesenswert.

Thomas D. Trummer
Bilder in der Pandemie
Verlag Walther König, 2021
ISBN/EAN 978-3-96098-939-4

Mehr Texte von Daniela Gregori

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