Parallel Vienna: Plötzlich Leitmesse
Man fühlt sich zurückversetzt in die Zeiten des Beginns, als die Parallel Vienna als Satellitenmesse baufällige, vor der Renovierung stehende Räume bespielte. Das Telegrafenamt (2013) oder die alte Post (2015), in die sich dieses Jahr just die eigentliche Leitmesse viennacontemporary eigemietet hatte (--> das artmagazine berichtete). Nach einigen Ausgaben in eher cleanen ehemaligen Bürogebäuden bietet der diesjährige Austragungsort der ehemaligen Semmelweis-Frauenklinik im 18. Wiener Gemeindebezirk wieder das etwas baufällige Flair des Wien im frühen 20. Jahrhundert und genügend Platz für eine überbordende Fülle an künstlerischen Positionen.
Zwei Häuser der früheren Geburtsklinik beherbergen jeweils auf vier Ebenen Räume mit Solopräsentationen, Gallery- und Curator-Statements, Offspaces und Klassen der Universität für angewandte Kunst, der Akademie der bildenden Künste Wien und der Kunstuniversität Linz. Zwischen den beiden Häusern ist noch Platz für künstlerische Interventionen wie die Hängematten von Michael Kienzer oder eine skulpturale Intervention von Heidulf Gerngroß. Durch pandemiebedingte Terminverschiebungen ist die Parallel Vienna nun eher unbeabsichtigt zur größten Kunstmesse im Wiener Kunstherbst avanciert, nur in der fehlenden Internationalität zeigt sich der Unterschied zu anderen Messeveranstaltungen, denn gerade einmal vier internationale Galerien haben den Weg nach Wien gefunden. Tobe Gallery aus Budapest zeigt den französischen Fotografen Jean-François Lepage, Monev Contemporary aus Sofia eine Gruppenschau u.a. mit Iv Toshain. Sanatorium aus Istanbul überlässt den Raum komplett der Salzburgerin Christiane Peschek, die Selfies so lange mit Optimierungs-Software bearbeitet, bis den Abgebildeten jede Subjekitvität ausgetrieben wurde. Laura Mars ist aus Berlin gemeinsam mit der Künstlerin Stefanie Seufert angereist. Neben Skulpturen aus gefaltetem und belichteten Fotopapieren, zeigt Seufert Auszüge aus ihrem Projekt zu einem Buch über Fotografie von Marguerite Duras.
Direkt Bezug auf die Geschichte der Gebäude nehmen nur wenige Projekte. Für ihr Curator’s Statement hat Madeleine Freund den Film „Beauty is Life“ über Beauty-Gadgets und Schönheitsindustrie von Jovana Reisinger ausgewählt, der passend in einem Operationssaal läuft. Luisa Hübner und Veronika Suschnig inszenieren mit ihren Werken einen Warteraum, in dem auch die beiden Künstlerinnen in entsprechender Kleidung ordinieren. Lucas Cuturi zeigt mit großformatigen Zeichnungen von Charlotte Schnabl den Versuch, die Essenz der Kunst in Ärzte-Warteräumen zu destillieren.
Anders als vielleicht erwartet präsentieren sich die einzelnen Räume relativ neutral. Die Einbauten und Gerätschaften wurden aus den Räumlichkeiten weitestgehend entfernt. Bei Sophia Vonier ergibt die Verfliesung eines Laborraums ein interessantes Spiel mit den architektonischen Details in den Malereine von Dominik Louda. Das Gewölbe der Andachtskapelle ist erfüllt vom Blinken der Neon-Skulpturen von Thomas Baumann, während seine kinetischen Objekte den Rhythmus dazu liefern.
Auffallend bei den Gallery Statements z.B. das ganz in Blau erstrahlende Zimmer von Parnarte, mit den bekannten changierenden Gemälden von Robert Schaberl, die Galerie Loft 8 mit Frenzy Höhne, die in ihren Bildern lediglich computergenerierte Bildbeschreibungen aus dem Internet verewigt. Bei Elisabeth & Klaus Thoman evoziert Axel Jonsson die Mythen seiner schwedischen Heimat. Kunst für die Endzeit präsentiert die Galerie 3. Eine Skulpturenedition von breaded escalope, die in Kooperation mit Cucina Alchimia entstand besteht aus fertig angerührtem und getrocknetem Crèpe-Teig. Im Falle des Falles reicht ein Hammer, etwas Wasser, Kochgeschirr und Pfanne für ein schmackhaftes Dessert.
170 Räume gilt es bei der diesjährigen Parallel zu besuchen. Dafür sollte man ausreichend Zeit und Energie zum Treppensteigen mitbringen, was angesichts der fehlenden Konkurrenz aber machbar ist. Ganz wohl mit ihrer Alleinstellung fühlen sich die Organisatoren der Parallel allerdings nicht. Er hoffe, dass sich im kommenden Jahr die Turbulenzen in der heimischen Kunstmesse-Szene wieder beruhigen, so der künstlerische Leiter Stefan Bidner. Schließlich hat das Grundkonzept der Präsentation der Vielfalt der lokalen Szene als Gegenpol zu einer großen international ausgerichteten Kunstmesse auch bei der 9. Ausgabe nichts von seiner Sinnhaftigkeit verloren.
08 - 12.09.2021
Semmelweisklinik
1180 Wien, Eingang: Hockegasse 37
https://parallelvienna.com/
Öffnungszeiten: Mi-Fr 13-20, Sa, So 12-19 h