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Sheila Hicks - Garn, Bäume, Fluss: Textil-Werk-Kunst

Schon vor Jahren wurde sie als Grand Dame der Textilkunst bezeichnet, die gebürtige US-Amerikanerin Sheila Hicks (*1934 Hastings, Nebraska), die seit den 1960er Jahren überwiegend in Paris lebt und in St. Germain ihr Atelier betreibt - und die sich scheinbar leichtfüßig auf dem internationalen Kunstparkett bewegt. Wenn man sie bislang noch nicht kannte, so schrieb sie sich endgültig bei der Biennale in Venedig 2017 mit einer farbmächtigen Installation im Arsenale ins Gedächtnis des Publikums ein. Dass sie eine Meisterin diverser, auch z. T. vergessener traditioneller textiler Techniken ist, dass sie dabei eine eigene künstlerische Formensprache entwickelt und dass sie die Kunst der Inszenierung beherrscht, das beweist sie erneut in der aktuellen Ausstellung im MAK - Museum für angewandte Kunst in Wien.

Für die erste Personale in Österreich konnte Dr. Christoph Thun-Hohenstein, Generaldirektor des MAK, mit seinem Team die Künstlerin gewinnen, ein Konzept für die Ausstellungsräumlichkeiten von 2000 m² zu realisieren. Das "Match" zwischen Thun-Hohenstein und Sheila Hicks hat seine Raffinesse. Als Leiter des MAK, das als "k. k. Österreichisches Museum für Kunst und Industrie" gegründet wurde, ist er sich der Schnittstelle von Kunst und Design, Kunstgewerbe und handwerklicher und/oder industrieller Fertigungstechnik bewusst. Diese Schnittstellen sollten aber zur Zeit der Wiener Moderne (etwa 1890 - 1910) aufgelöst und in der Auffassung der Wiener Secessionisten und weiters in der Motivation der Wiener Werkstätten in einen "Dialog auf Augenhöhe" verwandelt werden. "Können Arbeiten, die – so raffiniert sie sein mögen – mit Textilien in Verbindung gebracht werden könnten, mehr als Kunsthandwerk sein? Vielleicht künstlerisch ambitioniertes Design. Aber bildende Kunst?" fragt Thun-Hohenstein im Katalogtext zur Ausstellung *). - Sheila Hicks bleibt die Antwort nicht schuldig. Sie setzt ihre textilen Kreationen mit dem Ort in Beziehung. Zum einen greift sie mit dem Ausstellungstitel genau die Wurzeln des MAK auf. Seit 1877 die Positionierung an der neu angelegten Ringstraße in unmittelbarer Nachbarschaft zum 1862 eröffneten Stadtpark mit seinen reizvollen Ensembles von Bäumen, Sträuchern, einem Teich und - dem Fluss! Voilà: Garn - Bäume - Fluss. Das sind denn auch im metaphorischen Sinn die Materialien, die Hicks in ihren Arbeiten verwendet bzw. sie als Zitate einfließen lässt: Naturfasern, Halme, zarte Zweige, Muscheln.

Mit der Arbeit La Sentinelle de Safran (2018), die aus einem Konglomerat aus überdimensionierten flauschig-faserigen Farbballen besteht, bespielt Hicks die Stirnwand der großen Ausstellungshalle. Dieser Typ ihrer Arbeiten - es gibt Variationen, wie bereits in Venedig oder im Centre Pompidou, Paris, vorgestellt, - ist eine eigenständige Interpretation der Soft Sculptures. Der Titel und die gewählten Farbnuancen, die Safran (Crocus sativus) natürlicherweise hergibt, von kräftigen Gelbtönen, Rot und Orange bis einem milderen Beige, aber auch Rost und Zimt verweist auf die phantastische Welt der Färbepflanzen, aber auch auf alle modernen synthetischen Färbemöglichkeiten. Die Künstlerin bestand darauf, dass auch weiße Faserbündel in dieser Arbeit enthalten sein, quasi als das "pure" Ausgangsmaterial, wie Kuratorin Bärbel Vischer betont. Die Mächtigkeit von Farbwirkungen konnte Hicks schon früh an der Architektur von Luis Barragán während ihres Mexikoaufenthaltes (1959 bis 1964) erfahren, der kühn und lustvoll etwa strahlend-gelbe, feurig-orange- und zyklamfarbene Wandfronten schuf. - Ein anderer Solitär des Hauptraumes ist Apprentissage de la Victoire" (Vom Sieg lernen; 2008 - 2016). Wie ein wuchtig von der Decke herabstürzender gelber Wasserfall entwickelt diese Arbeit aus verzwirbelter Kokosfaser und Wolle ihre Aura. Vom ganz Großen zum ganz Kleinen ist das Konzept in dieser Halle: die Minimes, eine Reihe von heftblattgroßen Webarbeiten wird als Gegenpol gezeigt. Hier entfaltet Kicks Phantasie entlang von Kettfäden - en miniature.

Sheila Hicks beendete die Yale School of Art in Connecticut mit dem Master of Fine Art (MFA), 1959, wobei ihre Abschlussarbeit auch von Anni Albers, der renommierten Weberin am Weimarer Bauhaus und freie Textilkünstlerin, betreut wurde. Durch sie und auch durch Raoul D'Harcourt während eines Paris-Stipendiums wurde die Studentin auf präkolumbianische, traditionelle peruanische und Prä-Inka Textilien aufmerksam und von diesen inspiriert. Ebenso zählen zu ihren prägenden Erfahrungen in der Studienzeit bei Josef Albers die Experimente bezüglich von Farbwirkungen, abhängig vom Material, dem Licht, ja sogar von der Stimmung der Probanden, wie auch Übungen zur Wirkung von Farben untereinander. Wie ein spätes Echo darauf könnte man ihre Arbeit Colour Alphabet (1982/88) empfinden, in der Farbquadrate in Schattierungen durchdekliniert bzw. zueinander in Beziehung gestellt werden.

Für gewisse textile Techniken allerdings ist Sheila Hicks Autodidaktin, geleitet von der Faszination des Materials und der Gestaltungsvielfalt. Die künstlerischen Ansätze bei Sheila Hicks gerieren sich durchaus in der Geste der Fokussierung auf einzelne Elemente, ihrer Wiederholung bzw. ihrer Skalierung. Damit erreicht sie mit dem von ihr so variantenreich gestalteten Material Textil ungeahnte Effekte. Zumal das als weich, instabil, als wenig haltbar konnotierte Material durch Hicks Bündelungen, Wicklungen und flächig oder räumlich ausladende Anordnung eine ungewohnt mächtige Präsenz erhalten. In ihrem Objekt Menhir (1998 - 2004) wird sogar die Unzerstörbarkeit des prähistorischen Steins assoziiert. Eine von Sheila Hicks Erfindungen ist, mit überdimensional langen Garnsträhnen zu arbeiten, die allerdings in gewissen Abständen fest abgebunden werden. Als künstlerisch-ästhetisches Element wird hier der Kontrast von losem Garn und festgezurrter Steifheit einerseits und die unterschiedliche Haptik bzw. der Glanz des Materials andererseits hervorgehoben. Bei Menhir fließen die schiefergrauen Leinen-Strähnen am Objekt herab, einzelne der engen Umwicklungen sind in leuchtendem Blau gehalten. Ähnlich präsentiert sich Perruque Aubergine (1984/85). Diese Methode der Disziplinierung des losen Garns wird auch in flächigen Arbeiten eingesetzt, wobei die Strähnen dicht aneinander senkrecht angeordnet sind und die Abbindungen als unregelmäßige Akzente eingesetzt werden, etwa bei Lianes Ivoires (2019/20.

Wicklungen und Arbeiten, in denen man die einzelnen, relativ losen Fäden an sich wahrnehmen kann, findet man in diversen Werkgruppen, etwa bei den Soft Stones und in der Wandinstallation Constellation im Zentralraum, bei der runde vielschichtige Wickelpolster kosmisch angeordnet erscheinen. Eine sehr junge Werkserie macht klar, dass Sheila Hicks Fäden wie Pinselstriche einsetzt. Paneele werden dicht mit parallelen Fäden umwickelt, was einen bänderig-changierenden Farbverlauf ergibt. Mehrere dieser Fadenbilder lehnen in dem Environment Monumental (2018-2020) locker gestaffelt wie in einem Maleratelier an der Wand. Bei La Caze und Racines de la Culture (Wurzeln der Kultur; 2018) sind bunt-bizarre schlanke Stoffwicklungen luftig-locker bzw. dicht-schlängelnd arrangiert und tanzen aus der Reihe. Denn auch das fällt in der reich aufgefächerten Schau auf: das Oevre von Sheila Hicks beinhaltet streng geometrisch geordnete Arbeiten, sei es in Flachstickerei, in Couching-Technik, Webexperimenten oder Wandbehängen mit präziser Musterkonzeption. Daneben hat sie ein schier wildes Moment und eine Art Lust sich auszutoben in Farbengewirr und Kräuselungen, was nur von Judith Scott an Unberechenbarkeit übertroffen würde.

Bei Sheila Hicks werden die normalerweise am Boden liegenden stilisierten Gebetsteppiche an die Wand aufgezogen und erscheinen nunmehr eher wie Torbögen, als Konterpart zu Walter Pichlers Tor zum Garten. Ein Kunstgriff durch Perspektivenwechsel, der an Polly Apfelbaum denken lässt, die ihre großflächigen (Boden-)Teppiche "fallen pictures" nannte. Die von Hicks in Marokko hergestellten relativ hochflorigen Prayer Rugs zeichnen sich - dem Tufting ähnlich - durch eine Bas-Relief-Oberfläche aus. - In diesem Rundgang durch die Ausstellung können die wichtigsten Aspekte des 70jährigen Schaffens der Künstlerin beispielhaft erkundet werden, zudem ist druckfrisch der Katalog erschienen, und zwar als ein Leporello, das sämtliche Ausstellungsobjekte nebeneinander auffächert und auf der Rückseite Texte und ein Interview zur Ausstellung enthält.

Mehr Texte von Aurelia Jurtschitsch

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Sheila Hicks - Garn, Bäume, Fluss
10.12.2020 - 18.04.2021

MAK - Museum für angewandte Kunst
1010 Wien, Stubenring 5
Tel: +43 1 711 36-0, Fax: +43 1 713 10 26
Email: office@mak.at
http://www.mak.at
Öffnungszeiten: Di 10-21, Mi-So 10-18 h


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