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Das Dach des Damokles

Unter den vielen Unterschriftenlisten, die einem täglich vor die Nase gehalten werden, war neulich eine ganz besondere. Speerspitzen der Avantgarde wie Gerhard Tötschinger, ehemalige Albertina-Mitarbeiter wie Fritz Koreny, die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz, die zur Stelle ist, wenn jemand ein Ressentiment braucht, und diverse andere fordern darin auf, gegen das "Damoklesschwert über der Stadt" zu Felde zu ziehen, das in Gestalt des Flugdaches von Hans Hollein der Menschheit und dem Albertina-Platz entgegendräut. Die ausgefüllte Liste möge man bitte per Postweg retournieren an: Dr. Elisabeth Leopold, etc. etc. Dass die konzertierte Aktion gegen die "architektonische Sünde" wie zufällig von ausgemachten Gegnern des Albertina-Direktors K. A. Schröder angeführt wird, kann man sich denken. Dass sich Konditormeister Hollein mit dem überhängenden High-Tech-Dekor in der mythisierenden Eleganz eines Günter Domenig versucht, kann man gut finden oder nicht. Dass unverzüglich eine Koalition der Verhinderer auf den Plan tritt, entspricht den Gepflogenheiten. Und dass die Gegnerschaft zur Begründung auf die Erhaltung der "Harmonie" verweist, das gehört offenbar zum Gelände. Man solle helfen, "dass der Stadtkern nicht, wie in vielen anderen Städten globalisiert wird, sondern in seiner Eigenart harmonisch und damit für die ganze Welt attraktiv bleibt", heißt es auf dem Unterschriftenpapier. Das Geschoss des "in seiner Eigenart harmonisch" wurde einst auch auf Hrdlicka abgefeuert. "Wie kann man einen Platz derart verhunzen, der von unseren Vorfahren in solcher Harmonie geschaffen wurde?", so lautete der Kernsatz einer Entrüstung, die sich Ende der Achtziger am Mahnmal gegen Krieg und Faschismus abreagierte. Durch die Wiederholung jetzt wird die Invektive nicht richtiger. Holleins Vorkragung reckt sich einem Areal entgegen, auf dem einst der Philipphof stand, jenes Opfer des Bombenkriegs, von dem nichts als eine Baulücke übriggeblieben ist. Die beschworene Harmonie des Ortes ist die ganze Arbeit des totalen Krieges. Wie man damals Hrdlickas Berserkertum nicht mögen musste, um ihm angesichts der Leserbriefschreiber so etwas wie Solidarität entgegenzubringen, so muss man heute auch das Flugdach nicht schätzen, um es gegen die Unterschriftenlisten zu verteidigen. "Sind die sauer verdienten Steuermillionen nur dazu da, um mit unbehauenen Marmorblöcken aus Carrara die Gegend zu verschandeln. Unser Mauthausener Granit tut es wohl nicht?": Der Vorschlag an Hrdlicka, statt Stein aus Italien doch solchen zu nehmen, der aus der Gegend von Österreichs wichtigstem Konzentrationslager stammt, war seinerzeit aus ähnlichem Geist. Und womöglich hat er ja was für sich: Vielleicht nehmen sie für Holleins Halterung wenigstens Stahl von der Voest. Das wird die Gemüter kühlen.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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