
Milica Tomić - The Small Letter "a": Vom Leben der Feldblumen
In Zeiten in denen Grundrechte von Bürgern, und sei es auch angesichts einer Pandemie, eingeschränkt werden, lohnt eine Auseinandersetzung mit Fragen von Staatlichkeit, Repression, Nation-Building und den Folgen daraus für die Einzelnen.
Eine Anregung zur Diskussion gibt die international bekannte serbische Künstlerin Milica Tomić, die derzeit zwei Installationen in der Charim Galerie zeigt. Auf einem langen Tisch liegen Forschungsunterlagen. Ein Video informiert über das Ergebnis des Projektes „Life of the Corps“ auf das sich die Bücher und Notizen auf dem Tisch beziehen. Gemeinsam mit den Studierenden des Instituts für zeitgenössische Kunst in Graz betrieb die Künstlerin Recherchen zu dem KZ Aflenz, einem Aussenlager von Mauthausen, und dem Erbhofsgesetz von 1938. Die Recherche mündete in einem internationalen Symposion des Steirischen Herbst 2019.
Im ehemaligen Römersteinbruch in Wagna/Aflenz an der Sulm errichtete die SS im Februar 1944 ein KZ, in dem Flugzeugmotoren und LKW-Bestandteile gefertigt wurden. Die Häftlinge arbeiteten für die Steyr Daimler Puch-Werke, die ein führender Waffenlieferant für die Nationalsozialisten waren. In dem Video zu dem Forschungsprojekt sieht man quasi archäologische Arbeiten der Studenten, die nach Resten des Lagers graben. Zu Tage kommen Keramiktassen für Rasierschaum mit Hakenkreuz oder Reste von Zahnpulver von Häftlingen oder Wärtern. Eine Zuordnung ist heute nicht mehr möglich. Nicht umsonst trägt das Projekt den Titel vom „Leben der Feldblumen“, denn diese sind auf dem Rasenstreifen wo sich die Baracken des KZ befanden heute noch sichtbar. Tomić und den Student*innen ging es in ihrer Analyse auch um die Frage wie eine Erinnerung jenseits eines realen Denkmals aussehen könnte. Die Stundent*innen und auch die Wissenschaftler*innen diskutierten die Form einer fragenden und untersuchenden Erinnerungs-Sprache.
Das investigative Moment bestimmt auch die zweite Arbeit von Milica Tomić. In „Museum in Suspension“ bildet sie in einem Raum der Galerie das Museum für Moderne Kunst in Belgrad nach, das sich während einer langen Latenzzeit der Frage nach der Sinnhaftigkeit eines Nationalmuseums nach dem Zerfall Jugoslawiens stellte. Tomic unterstreicht die Identitätskrise durch ihre Arbeit, wobei sie die Zwischenräume eines objekthaften Schriftzugs „Jugoslavia“ mit Blei ausgoss. Die Negativform ist ein haptischer Rest dieses Staates.
Das Verbindende der beiden Arbeiten von Milica Tomić ist der Begriff des Staates. Im englischen bezeichnet „state“ auch Zustand. Ein Staat gibt mit seinen Gesetzen und seiner Verfassung einen Zustand für seine Bürger vor. Der Zustand eines Staates ist veränderbar durch das Erstarken bestimmter politischer Strömungen, durch das Erklären von unabhängigen Territorien, wie es in den 90er-Jahren am Balkan der Fall war. Aber auch die Diskriminierung von Personengruppen, ihre Stigmatisierung und die Reduzierung des Menschen auf bloßes Arbeitsmaterial, wie es im Nationalsozialimus der Fall war, verändern Staatgebilde. Die SS nahm ihren Gegnern alles, die Bürgerrechte, die Arbeitskraft und letztendlich das Leben. Eine Erinnerung an diese schrecklichen Zeiten und ihre Abwandlungen ist Milica Tomić in ihrer Ausstellung sehr eindrucksvoll gelungen.
10.03 - 06.06.2020
Charim Galerie
1010 Wien, Dorotheergasse 12
Tel: +43 1 512 09 15, Fax: +43 1 512 09 15 50
Email: info@charimgalerie.at
http://www.charimgalerie.at
Öffnungszeiten: Di-Fr: 11-18h
Sa: 11-14h