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Günter Brus - Werkumkreisung: Selbstverstümmelung

Das "Absingen der Bundeshymne beim Onanieren" brachte fünf Monate schweren Kerker, verschärft durch Fasttage und harte Lager. Vielleicht wäre das Fehlverhalten, das Günter Brus bei der legendären "Kunst und Revolution"-Party am 5. Juni 1968 in der Uni Wien an den Tag legte, minder gravierend gewesen, hätte er sich umgekehrt verhalten und beim Absingen onaniert. So aber zeigte sich die "Republik", wie sie nun einmal war im 68er Jahr. In Österreich gab der Richter den Pedell und, es war weniger eine Öffentlichkeit, die ahndete, als eine Obrigkeit, die züchtigte, was Brus erfuhr.

Dies am ureigensten Leib zur Kenntlichkeit gebracht zu haben, ist schon einmal ein bleibendes Verdienst. Anscheinend haben die disziplinarischen Maßnahmen dann aber so gefruchtet, wie es sich ein autoritärer Staat nur wünschen kann. Fortan sollte Brus immer weniger über die Stränge schlagen, sollte durch seine Gattin einen Ausgleich an allerhöchster, bundespräsidialer Stelle erwirken, sollte irgendwann Staatspreis-Träger werden, sollte das bereits 1966 von London aus in die Heimat gesandte "Wir werden Millionäre" zur Self-Fulfilling Prophecy wenden und sollte schließlich, gleichsam als Apotheose, in die Albertina ein- und sich dort der jetzigen, sehr triftig "Werkumkeisung" genannten Retrospektive unterziehen.

Angesichts einer solchen Vita erscheint die Ironie, in die Brus sich mehr und mehr begab, sowieso als einziger Ausweg. Nicht, dass Herrmann Nitschs malerisch verstreute Eingeweide weniger dekorativ wären und Otto Mühls Anklagen weniger rhetorisch. Dennoch frappiert die Freiwilligkeit, mit der Brus die Selbstverstümmelung gesucht hat. Schon Anfang der Siebziger gewann die Reduktion ins Karree von Zeichnung, Buntstift, Wohlgefallen und Wortspiel Gestalt, und wie seine Arbeiten ist Brus selbst als Figur damit emblematisch geworden. In den Achtzigern wird man einen solchen Mechanismus der Fügsamkeit dann die "kulturelle Logik des Spätkapitalismus" nennen. Brus, ganz Geschichtsphilosoph, erkannte diese Entwicklung, ganz Künstler, als erster. Er hat seine ästhetische Existenz daraufhin ausgerichtet. Ganz Aktionist.

Mehr Texte von Rainer Metzger

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Günter Brus - Werkumkreisung
07.11.2003 - 08.02.2004

Albertina
1010 Wien, Albertinaplatz 1
Tel: +43 1 534 83 -0, Fax: +43 1 533 76 97
Email: info@albertina.at
http://www.albertina.at
Öffnungszeiten: Tägl. 10-18h, Mi 10-21 h


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