Schiele – Rainer – Kokoschka. Der Welt (m)eine Ordnung geben - Sammlung Ernst Ploil. Eine Auswahl: Blut in den Venen, Kunst an den Wänden
Der Titel mag wie eine Liedzeile klingen. Aber wie beschreibt man einen Top-Anwalt, der gerichtszertifizierter Sachverständiger für Jugendstil ist und 2.000 Kunstwerke des (vorrangig) 20. / 21. Jahrhunderts gesammelt hat, adäquater?
Bereits als Zwölfjähriger besuchte Ernst Ploil die Ateliers junger Bildhauer und Keramiker. Sechs Jahre später, im Alter von 18 Jahren kaufte er sein erstes Objekt, eine Glasvase aus der Zeit nach 1900.
Neben Entwürfen der Künstler der Wiener Werkstätte sowie der Manufakturen Lötz, Lobmeyr und Hagenauer wurden Kunstwerke (vorrangig) österreichischer und amerikanischer Künstler in die Sammlung im Sinne eines Gesamtkunstwerkes aufgenommen.
Die Liste liest sich wie das who is who der modernen Kunstgeschichte.
Josef Albers, Ferdinand Andri, Richard Artschwager, Joannis Avramidis, Hans Bischoffshausen, Herbert Boeckl, Chuck Close, Marcel Duchamp, Albin Egger-Lienz, Dan Flavin, Roland Goeschl, Albert Paris Gütersloh, Franz Hagenauer, Xenia Hausner, Josef Hoffmann, Donald Judd, Wassily Kandinsky, Kiki Kogelnik, Oskar Kokoschka, Anton Kolig, Maria Lassnig, Adolf Loos, Morris Louis, Agnes Martin, Carl Moll, Kolo Moser, Barnett Newman, Dagobert Peche, Michael Powolny, Markus Prachensksky, Karl Prantl, Arnulf Rainer, Anton Romako, Egon Schiele, Franz West, Fritz Wotruba - um nur einige taxativ aufzuzählen.
Der Wille, wichtige Werke und Werkgruppen zu verstehen, ist dabei das Grundbedürfnis des Sammlers. Ernst Ploil versucht, den tieferen Sinn seiner gesammelten Kunstwerke und deren Wirkung auf sich selbst zu ergründen.
Ein für die Sammlung Ploil frühes Werk entstand im Jahre 1885 und ist nicht nur ikonographisch interessant. Der Künstler Anton Romako, von dem zwei Werke in der Ausstellung zu sehen sind, hatte eine große Förderin - Maria Magda Gräfin von Kuefstein (geb. Krüger).
An seinem Schaffensort dem Renaissanceschloss Greillenstein im Waldviertel, das bis heute im Besitz der Grafen Kuefstein ist, entstanden zahlreiche Kunstwerke - so auch die Ansicht der benachbarten Rosenburg (1885), das von vielen Kunsthistorikern als eines der Schlüsselbilder der Entwicklung der Moderne bezeichnet wird.
Der Sammler Rudolf Leopold erkannte die hohe Qualität der Arbeiten von Romako, die auch zahlreich in den Sammlungen Leopold vertreten sind (so auch das Porträt der Mäzenin Maria Magda Gräfin von Kuefstein).
Egon Schieles Selbstbildnis mit Pfauenweste von 1911 (das spätestens seit 2017 im Rahmen der Schiele-Personale in der Albertina jedem bekannt ist, da es als Ausstellungsplakat auch im öffentlichen Raum omnipräsent war) zeigt den damals zwanzigjährigen Künstler selbstbewusst dargestellt. Schiele posiert in modischer Eleganz, die an Heiligenfiguren erinnert.
Vier Jahre nach dem Tod von Egon Schiele wurde der Grieche Joannis Avramidis 1922 in Batumi (im heutigen Georgien) geboren.
Ein Aluminiumkopf von 1966 und die vollsymmetrische Bronzearbeit Figur IV (1963), die in der Ausstellung plastischen Werken von Roland Goeschl und Fritz Wotruba gegenübergestellt werden, zeigen die unterschiedlichen Herangehensweisen an das Material. Der von Künstlerhand bis zum letzten Schliff perfektionierte Alukopf steht der Bronzeauflagenarbeit (Edition von 6 Werken plus die für Avramidis typische 0-Nummer und die obligatorische Künstleredition) gegenüber.
Neben Naturstudien war es der menschliche Körper, der Avramidis in diversen Ausformungen (Material und Form) bis zum Schluss faszinierte. So war es der Mensch, der für den Künstler das Maß alle Dinge darstellte. Es war die Suche nach einer universalen, zeitlosen Formensprache, deren Ursprünge man auch in der griechischen Hochkultur findet. Sein auf mathematischen Regeln fundiertes Prinzip der Konstruktion knüpft sowohl an antikes Wissen wie auch an das Denken der Renaissance an. Harmonie, Symmetrie und Proportion der Menschen somit, die sich demokratisch, auf gleicher Ebene begegnen.
In diesem Sinne kann man wieder an die Antike anknüpfen - Homo sum, humani nihil a me alienum puto. (lat.: Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches, denk ich, ist mir fremd.)
Mit dem Werk Rosmaries Baby (das Staunen-Bild) (2010) spielt Xenia Hausner wiederum vielschichtig auf die Kunstgeschichte an. Es wird ein Paar (wohl Museumsbesucher) mit einer ghost mask dargestellt, die eine Skulptur (ähnlich jener von Jeff Koons aus dem Jahre 1983) - Basketball im Aquarium treibend - mit Erstaunen betrachtet. Im Hintergrund purzeln die Punkte von Damien Hirst (?) wild über die Bildfläche. Persiflage oder auch gewollte Rezeption der Kunstgeschichte - die Darstellung ist Entertainment für den Betrachter.
Eine sehr spannende Gegenüberstellung passiert auch mit einem abstrakten, aquarellierten Papierschnittdruck (nach 1904 entstanden) von Franz von Zülow und einem weiß und blau lackierten Weichholzkasten für das Dienstzimmer der Wohnung Margaret und Jerome Stonborough-Wittgensein in einer Ausführung der Wiener Werkstätten von 1905 nach einem Entwurf von Josef Hoffmann.
Und so könnte man im Sinne des Gesamtkunstwerkes noch zahlreiche Gegenüberstellungen herausgreifen.
Die Auswahl und die Gestaltung der 180 in der Landesgalerie Niederösterreich gezeigten Kunstwerke stammt von einem langjährigen Wegbegleiter des Kunstliebhabers Ernst Ploil, dem Kunsthistoriker und Kunsthändler Herbert Giese. Seine Leitidee für die Ausstellung war die Sichtbarmachung von Brüchen, Gegensätzen und unerwarteten Verbindungen.
"Sammeln ist eine Sucht," so Ernst Ploil, "der unsere Gesellschaft umso verständnisvoller gegenübersteht, je mehr die gesammelten Güter allgemein anerkannte Bedürfnisse und Interessen befriedigen."
Für den Betrachter ist es meines Erachtens nach wichtig, bewusster zu sehen und wahrzunehmen, was uns Kunstwerke erzählen. Ich weiß nicht, ob man der "Welt eine Ordnung geben" muss, aber die Welt geordneter zu sehen erfreut (mich zumindest).
01.07.2020 - 28.02.2021
Landesgalerie Niederösterreich
3500 Krems, Museumsplatz
Tel: +43 2732 908010
Email: office@lgnoe.at
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Öffnungszeiten: Di-So 10-18 h