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Paolo Pellegrin - Un'Antologia: Nobel geht die Welt zugrunde

In Hamburg hat man sich, anlässlich der Werkschau von Paolo Pellegrin, etwas einfallen lassen. Und setzt zur Ehrung dieses Fotoreporters, eines der aktuell bekanntesten und – unter anderem ausgezeichnet mit zehn Word Press Photo Awards – erfolgreichsten seiner Zunft, auf die große Inszenierung:

Zuerst einmal herrscht hier große Düsternis, und das in so gut wie jeder Hinsicht. Der Boden dunkel ausgelegt, die Wände schwarz gestrichen. Und auch die Fotografien, die sich – von Spots bloß sanft angestrahlt – beinahe nur widerwillig aus der Finsternis schälen, fügen sich nahtlos in dieses sinistre Ambiente: So gut wie ausnahmslos in Schwarzweiß gehalten, künden sie allesamt von Gewalt, Unglück, Leid, Tod. So hat es jedenfalls den Anschein. Denn was wir hier genau vor Augen geführt bekommen, wissen wir eigentlich nicht, hat man doch durchgängig darauf verzichtet, den Fotos Legenden zur Seite zu stellen. Zwar werden dazu – spärliche – Informationen in einer Broschüre nachgereicht, doch ändert dies nur wenig daran, dass wir uns nun nicht mehr Bilddokumenten gegenübersehen (sollen), sondern gleichsam reinen Bildern; Bildern, die wir demnach ausschließlich nach ihrem ästhetischen Wert zu beurteilen haben, d.h. danach, ob man Pellegrins Spiel mit Schatten, Unschärfen, gekippten Horizonten, verschiedenen Bildebenen etc. nun gefällig findet oder nicht. Doch sind das alles Dinge, die – mit Roland Barthes gesprochen – dem Bereich des studium zugehören, Dinge, denen man nur ein allgemeines und höfliches Interesse entgegenbringt, kurz: Dinge, die das Zwingende, Unbedingte vermissen lassen. Und über diesem studium verlernen die Bilder dann auch das Sprechen, sie verstummen und verpuppen sich selbstzufrieden in ihrer eigenen Wohlgestalt. Mit einer einzigen Ausnahme: Bei einer Serie über die verstümmelten Opfer einer israelischen Militäroperation im Gazastreifen beginnen die Bilder in der Tat beinahe zu schreien, weil sie mit dem an der Wand angebrachten Text eine augenblickliche Synthese eingehen, die zu einer gegenseitigen Befruchtung führt. Mit dem wirklich beeindruckenden Ergebnis, dass hier Menschen, die in Nachrichten üblicherweise nur in Form anonymer Statistiken eingehen, plötzlich ein Gesicht und ein Name (samt persönlicher Geschichte) und damit eine unverwechselbare Identität gegeben wird. Da wird die Fratze des Krieges mit einem Mal schrecklich real.

Aber der Rest der Ausstellung, die mehr als 200 Arbeiten aus den letzten 20 Jahren (grob: seit Pellegrin Mitglied bei der legendären Fotoagentur Magnum wurde) versammelt, lässt einen doch seltsam unberührt. Man empfindet vielleicht wie nebenbei Erleichterung darüber, nicht – wie Pellegrin selbst – Zeuge aller oder eben ein Opfer einer dieser vielen Kriege, Krisen und Katastrophen gewesen zu sein. Oder man wird angesichts dieses ubiquitären Leids, das in seiner Summe der eigenen Empathie auch klar die Grenzen aufzeigt, ganz obenhin sentimentalisiert und zu der defätistischen Schlussfolgerung verleitet: Die Erde – ein einziges Jammertal! Diese Anthologie des Schreckens erinnert daher ironischerweise von ferne auch an eine andere Ausstellung mit stark weltanschaulicher Tendenz, nämlich an die von Edward Steichen konzipierte Schau „The Familiy of Man“. Wo 2020 aber, nachgerade dem Zeitgeist entsprechend, die Schwarzmalerei dominiert, da wurde 1955 noch eindringlich der Optimismus beschworen, um die schweren Verwerfungen zwischen den Menschenbrüdern und -schwestern, die sich zehn Jahre zuvor noch kollektiv und in mörderischer Absicht an die Gurgel gegangen waren, endgültig vergessen zu machen. Auch das übrigens eine Veranstaltung, die dem historisch Konkreten keine primäre Bedeutung zumaß.

Denn die leise Gleichgültigkeit gegenüber den ursprünglichen Bildaussagen (des unzweifelhaften Humanisten Pellegrin) scheint hier billigend in Kauf genommen zu werden, weil man mutmaßlich ohnehin ein ganz anderes Ziel verfolgt: die Nobilitierung des Fotoreporters zum Künstler. Darauf scheint die gesamte Inszenierung nämlich wohl hinauszulaufen, die den Werken, indem sie ganz durch sich selbst wirken müssen, nicht nur eine ästhetische Weihe verleihen, sondern sie auch noch – durch das subtile Spiel des Lichts – geradezu auratisch aufladen möchte. Letzteres wirklich wunderbar zu erleben, wenn in einem völlig abgedunkelten Raum beispielsweise bloß ein einziges Porträt platziert wird, das einem dann nahezu mystisch entgegenglüht. Diese Inszenierung wartet am Ende aber auch noch mit einer gewaltigen Überraschung auf, indem sie den bisher alleine der Finsternis gewidmeten Rundgang plötzlich in einer weißen Zelle münden lässt, die ja bekanntlich zum paradigmatischen Kunstraum der Moderne erhoben wurde; und wenn diese Zelle weiters vornehmlich dazu dienen soll, durch das Ausbreiten von Tage- und Notizbüchern, Skizzen etc. einen Blick in das „Labor“ Pellegrins zu gewähren und ihn damit nicht als spontanen Knipser, sondern als planenden Kopf auszuweisen, scheint die Sache dann doch ziemlich klar.

Apropos Symbolik: Die weiße Zelle wird noch von einem riesigen Eiszacken (eine Referenz auf die Antarktis, die Pellegrin neuerdings mit in den Blick nimmt) überragt. Ein Schelm jedoch, wer dabei jetzt nicht auch ein bisschen an C.D. Friedrichs „Gescheiterte Hoffnung“ aus der ohnehin nur einen Steinwurf entfernten Hamburger Kunsthalle denkt ...

Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Paolo Pellegrin - Un'Antologia
01.11.2019 - 01.03.2020

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