Rainer Metzger,
Mater colorosa
Die Referenz, so stellt es Emile Benveniste in seinen "Problèmes de linguistique générale" heraus, ist gegenüber der Deixis sekundär. Es scheint, dass Madonna bei dem französischen Semiotiker gelehrig in die Schule gegangen ist, denn bei aller Geschichte, die sie in ihrem ersten Kinderbuch erzählt, sind es hinweisende, auf das Hier und Jetzt der Lektüresituation bezogene Formulierungen wie "Und unterbrich mich nicht dauernd!" oder "Da war natürlich auch eine Puppe. Aber nur eine. Kannst du dir das vorstellen? Ich bestehe darauf, dass du`s dir vorstellst, okay?", die besonders ins Gewicht der Aufmerksamkeit fallen.
Zumindest in die Aufmerksamkeit von Constanze, die gerade fünfeinhalb ist und im Begriff, sich das harte Brot eigenen Buchstabierens einzuverleiben. Um so erleichterter ist sie, wenn sie nicht mit eigener Anstrengung die Zeilen entlangfahren muss. Madonnas mit erhobenenem Zeigefinger vorgetragene Floskeln wären auch wirklich affig, müsste man sie selber lesen. Wenn aber einer dasitzt und sie vorträgt und die Pädagogik sozusagen personalisiert, dann kommt das wenigstens bei Constanze gut an. Bekanntlich muss der Fisch immer noch dem Wurm schmecken. Also empfehlen sich die "Englischen Rosen", mit der nicht wie bei Elton John die Lady Dis dieser Welt, sondern vier Mädchen im Grundschulalter gemeint sind, die sich, und das ist der ganze Plot, schließlich zum Quintett erweitern, als Vorlesestück.
Und als Vorzeigestück. Denn wirklich bezaubernd an Madonnas Schrifttum sind die Illustrationen von Jeffrey Fulvimari, die den Text rahmen, ergänzen und auffüllen mit jener Phantasie, an der es Signora Ciccone doch herzlich gebricht. Fulvimaris Bilder greifen Kay Thompsons "Eloise"-Görengeschichten aus den Fünfzigern auf, die gerade eine mächtige Renaissance feiern.
Doch das war immer schon das Prinzip. Du bist ein möglichst weltweit eingeführtes Label, engagierst Spezialisten, die deinem Label zuarbeiten, und wieder einmal sucht sich der Teufel den größten Haufen. Das kann eine Modelinie sein oder ein Kinderbuch. Wenn du, so als Label, am morgen vorm Kleiderschrank stehst, wirst du ersteres vertreiben. Wenn du zwei Kinder hast, womöglich letzteres. Madonna jedenfalls spielt nun für alle die Mater colorosa. Constanze findet übrigens die Bilder auch besser als die Story.
Madonna
Die Englischen Rosen
Aus dem Amerikanischen von Anu Stohner
Mit Illustrationen von Jeffrey Fulvimari
München: Hanser 2003
48 Seiten
Hardcover
48 farbige Abbildungen
ISBN 3-446-20412-1
www.hanser.de
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