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Stadtraum als Agitationsplattform

Unter dem Titel Volksfronten versammelt die neue Intendantin und Chefkuratorin des steirischen Herbst Ekaterina Degot im gesamten Stadtraum von Graz sowie in einigen ausgewählten Institutionen Positionen, die sich mit unterschiedlichen Dispositiven der Macht auseinandersetzen und auf politische Widersprüche und Gegensätze in Geschichte und Gegenwart rekurrieren. Thematisiert werden hier auch jene aktuellen Faschismen, die sich schleichend re-institutionalisieren und einen zunehmenden künstlerischen Handlungsbedarf verursachen.

Die Eröffnung vollzog sich als performativer Akt, der von der Bread & Puppet Theater Group gestaltet wurde und das Publikum vom Hauptbahnhof als Ort migrantischer Ströme ins Zentrum führte und dabei so manche Fenster der Häuserzeilen eines ehemaligen Arbeiterviertels aufgehen ließ, dessen BewohnerInnen mit ihren Blicken jener künstlerischen Prozessionskette inklusive Brass Band folgten. Daraufhin versetzte Roman Osminkin den Schlossbergaufgang, bekannt auch als Russensteig, an dessen Errichtung im ersten Weltkrieg russische Kriegsgefangene beteiligt waren, in eine Text-Sound Collage, die Modelle der Revolution adaptiert nach Dimitrij Prigov dem Publikum als choreografierten Festivalakt treffend vor Augen führte.

Der öffentliche Raum fungiert bei diesem Festival als zentraler Parameter, wenn etwa Yoshinori Niwa am Hauptplatz einen Altkleidercontainer aufstellt, der zu einer anonymen Entsorgung noch existierender Relikte aus dem Nationalsozialismus aufruft oder Rossella Biscotti & Kevin van Braak im Brunnenbecken am Eisernen Tor faschistisch-modernistische Miniaturgebilde in Erinnerung an Kinderheime im Italien der 1920er und 30er Jahre errichten, deren Glanz vor allem einst ideologisch (ver-)blendete. Am Dach der Arbeiterkammer befindet sich eine Installation der ZIP Group aus Krasnodar mit Bezugnahme auf die antifaschistische Bewegung Jugoslawiens der 1930er Jahre, während sie im Begleitprogramm bei rotor eine Reihe an Zeichnungen als politologisch diversifizierenden Fragebogen an der Wand affichierten. Milica Tomić, die bei rotor mit Róza El-Hassan Replik auf ihr gemeinsames Fassadenprojekt an der Wiener Secession im Jahr 2000 nimmt, widmete sich in ihrem Herbst Projekt im Forum Stadtpark dem weniger bekannten Zwangsarbeits- und Außenlager Aflenz in der Südsteiermark, wobei neben Recherchematerial zu jener zwischen 1943 und 1945 aktiven Einrichtung im Ausstellungsraum Erde aufgeschüttet und ein unsichtbares Mahnmal für einen Nicht-Ort geschaffen wurde. Mit dem spekulativen Wirkungsfeld der Pflanzen wiederum setzen sich Igor und Ivan Buharov aus Budapest in ihrer Installation im Volkshaus, dem Grazer Hauptquartier der KPÖ auseinander.

In seiner Neuauflage und einer Präsentation vorwiegend von Auftragsarbeiten gelingt es dem steirischen Herbst ideologisch aufgeladene Momente von Historizität und ihre Einschnitte in die Gegenwart aufzugreifen und dabei einen Schnitt durch die Stadttopologie zu wagen, der das Potential von Kunst als Trope der Recherche mit all ihren Verstörungsmechanismen forciert.    

Mehr Texte von Walter Seidl

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