Nil Yalter: Das Brot der Fremde
Nil Yalter, die als Kind türkischer Eltern in Kairo geboren wurde, kam als Vierjährige nach Istanbul wo Sie schon als Jugendliche in den Künstlerkreisen der Stadt verkehrte. Sie erlebte den Aufbruch der Türkei in Richtung Modernisierung, Demokratisierung und Säkularisierung und verließ das Land 1965 um nach Paris zu gehen.
Yalter ist Autodidaktin und ihre Stärke liegt in einem künstlerisch spezifischen Blick auf die Arbeitsmigration der Türken nach Frankreich in 60er- und 70er-Jahren.
Schon sehr früh nahm Sie mit Hilfe der Kamera eine empathische Haltung gegenüber ihren Landsleuten ein, die anders als sie, in teilweise unwürdigen Arbeitsverhältnissen standen und in elenden Quartieren in Paris lebten.
Aus der Serie „Exile is a hard job“ 1976/2015 zeigt Yalter mehrere Arbeiten auf Textil und Karton bei Winter. Darin sind in Überblendungen türkische Frauen mit Kopftüchern in schwarz-weiß auf Textil gedruckt. In einer Serie wiederholen sich in loser Abfolge diese Frauenbilder so als würde sich ein Schicksal mit immer demselben Gesicht ins Unendliche ausdehnen.
Auf Karton aufgezogene Fotos erinnern an Interieurs des 19. Jahrhunderts. Es ist ein ethnografischer Blick auf die Essens- und Küchenverhältnisse der zum Teil anatolischen Arbeiter. Auch eine Fotofolge von „Garment Workers“ ist zu sehen. Schwere Stoffbahnen und Kleider werden in Ihren winzigen Wohnungen genäht.
Yalter gibt ihren Fotografien, die sie manchmal mit Zitaten türkischer Schriftsteller ergänzt und in einer Art malerischem Panorama präsentiert, den Unsichtbaren ein Gesicht. In Interviews hörte sie von den nachgezogenen Frauen „We just sit at home. There is nothing else that we do.“ Außer der Kindererziehung gingen viele Frauen von männlichen Arbeitsmigranten keiner Arbeit nach. Der französischen Sprache oft nicht mächtig, von den Ehemännern reglementiert, lebten viele von Ihnen ein unsichtbares, häusliches, verstummtes Leben. Es ist diese Aufmerksamkeit für die Entrechteten, die Yalter auszeichnete.
Zu sehen ist dies auch in der Fotografie eines Kinderpantoffels, der achtlos auf der Straße in Istanbul liegt. Yalter betitelt es mit „Habitation Provisoires“ Eyiip a Istanbul“. Nicht zuletzt spielt dieser Titel auf ihre eigene Migrationserfahrung im Nahen Osten an.
Nil Yalter war eine der ersten Künstlerinnen die diese west-östliche Entrechtung, die Brutalität des dabei angewandten Kapitalismus, die Unterdrückung der Frau und der Minderheit schon zeitgleich mit ihrer Entstehung, also sehr früh in den 60er Jahren, thematisierte. Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Probleme rund um Migration und Integration ist es nicht verwunderlich, dass das Werk der 80-jährigen Künstlerin wieder stärkere Aufmerksamkeit erfährt.
08.06 - 08.09.2018
Galerie Hubert Winter
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