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Femme Retouchée

Ihr Leben beflügelt die Fantasie. Maria Magdalena ist Leidenschaft und reuige Sünderin, Verlockung und Solidarität, Prostituierte und Schutzpatronin der Frauen. Noch bis in die 1990er Jahre gibt es in Irland nach ihr benannte Heime, um “gefallene Mädchen und Frauen” auf den rechten Pfad zurückzuführen. Heute sieht die feministische Theologie in ihr ein Vorbild. Kein Wunder, dass alle heiligen Zeiten - wie in diesen Tagen - ihr Leben in einem dramatischen Streifen abgefilmt wird. Abgesehen von Genderproblematik und Sensationslust ist Maria Magdalena die erste Zeugin des christlichen Heilsgeschehens. Johannes berichtet, wie sie auf dem Weg zum Grab Jesus begegnet, dem eben Auferstandenen. Erst als er sie beim Namen nennt, erkennt sie ihn. Die Kunstgeschichte liebt diese Episode, weil sie Begegnung und Zurückweisung, Unterwerfung und Gnade ist. Doch eigentlich ist es eine unschöne Szene. Denn bei dem Versuch, ihn zu küssen und zu umarmen, reagiert Jesus brüsk: “Noli me tangere”. (Joh 20,17) “Rühre mich nicht an”. Von Giotto bis Picasso arbeiten sich Künstler_innen an der versuchten Berührung mit der Erscheinung ab. Doch wer präzise ist, übersetzt die Stelle anders. Es geht um “Nolere”. Wir kennen das lateinische Wort aus der Wendung: “Nolens, volens”, was wohl oder übel meint, aber eigentlich “nicht wollend, wollend”. Was Jesus also korrekter sagt, ist: “Wünsche nicht, mich zu berühren”. Er weist nicht die Berührung zurück, sondern das Begehren der Berührung. Und das ist etwas anderes.

In Paris gibt es eine nach der Heiligen benannte Kirche. La Madeleine im 8. Arrondissement ist ein kunsthistorisches Unikum. Architektonisch ist das Bauwerk einem römischen Tempel nachempfunden. Säulen rhythmisieren den Kern, ein imposanter Portikus bildet den Eingang. Wie die Heilige steht auch die Kirche zwischen säkularer und sakraler Vereinnahmung. Napoleon wollte das Bauwerk, das die Revolution gerade in unfertigem Zustand überlebt hatte, als Heldengedenkstätte weihen. Später änderte er den Plan. Aus dem Gedächtnisort wurde eine Kirche. Derzeit wird die Fassade in Stand gesetzt. Der Gerüstbau ist mit einer bedruckten Schutzfolie versehen. Darauf sind das Mauerwerk, die korinthischen Säulen und einige der Ädikulen zu sehen. Am südlichen Ende wird der schwarz-weiße Druck, dem ein Stich als Vorlage dient, von einer Fotografie überlagert. Das Foto nimmt die ganze Fassade ein. Allein die Zierleiste des Frieses unter der Traufe bleibt noch sichtbar. Am unteren Ende sind die Sockel der Säulen zu erkennen Die Fotografie zeigt Kim Kardashian und ihre Halbschwester Kylie Jenner in Hosenanzügen. Während Kim direkt aus dem Bild blickt, die Arme hinter dem Rücken verbirgt und ihren Körper in Pose bringt, ist Kylie in sich versunken. Kim kokettiert mit dem Blick, Kylie scheint ihm ausgesetzt. Sie hält eine Decke über den Arm geschlagen. Die Decke ist weiß mit roten Ornamenten. Die beiden Models sind in einer roh gezimmerten Hütte aufgenommen. Lichtstrahlen dringen durch den losen Verschlag der Bretter. Die beiden, die wie Maria Magdalena durch medientauglichen Lebenswandel berühmt und berüchtigt werden, werben für die Wäschemarke Calvin Klein. Es geht weder um Christentum noch um Heilsgeschichte, sondern um den Stallgeruch des Anti-Elitären, um Blue-Collar-Workers, Trump-Wähler_innen, Reality-TV und amerikanische Country-Idylle.

Das französische Recht fordert seit Oktober 2017, dass Werbungen, die manipulierte Fotografien zeigen, als solche ausgewiesen werden. Und so ist auch im oberen rechten Eck der Vermerk “photo retouchée” zu lesen. Er ist allerdings so klein, dass nur Spitzfindige ihn entdecken. Das Gesetz schützt vor der Deformation des Körpers durch das Bild. Die Rollen haben sich also verkehrt. Statt Christus ist es nun das Bild, vor allem das Bild der Frau, das ein “Noli me tangere” einfordert. Tatsächlich ist es die Frau im Bild, die durch es berührt und manipuliert wird. Weil ihr Körper zur Erscheinung retuschiert wird, mahnt der Kommentar des Gesetzes zur Vernunft. Er sagt: Wünsche nicht, so zu sein, wie ich (vorgeblich) bin. Doch worin besteht dann der Sinn der Werbung? In der Ambivalenz von Versuchung und Zurückweisung, von Perfektion und Mangel, von Gnade und Pose? Und ist das nicht eine säkulare Variante der Heilserwartung?

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Abb: La Madeleine, Paris, Werbung von Calvin Klein, März 2018

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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