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Ben Vautier: Ist alles Kunst?: Bücken Sie sich vor Ben Vautier

"Tout est art." "L'art est inutile – à bas l'art." "Alles ist Kunst." (1961) aber auch "Kunst ist unbrauchbar – nieder mit der Kunst." (1965) Zwischen diesen beiden Extremen verhandelt Ben Vautier seine Kunst. Mit seinen Sprachbildern wurde er bekannt; in ihnen befragt und kommentiert er Leben, Kunst und Kultur. Zum 80. Geburtstag richtete das Museum Tinguely dem französisch-schweizerischen Künstler Ben Vautier eine retrospektive Jubiläumsausstellung mit über 500 Werken aus und gibt dem Pionier der Fluxusbewegung genügend Gestaltungsspielraum diese zu präsentieren. Über 30 Räume bespielt Vautier. Startend mit den Bananenbildern aus den späten 1950ern und den ausgestellten Rückseiten von Gemälden wie "Toile retournée" (1958) oder "Toile retournée trouée" (1962) folgen schließlich mit den "vieilles écritures" die ältesten seiner legendären Sprachbilder. In seinen Performances genannten "gestes" brachte Ben die Kunst ab 1959 auf die Strasse. Dazu gehört z. B. das Warten an einer Bushaltestelle, diese präsentiert das Museum in quadratischen, schwarz-weiss bemalten und collagierten Bildtafeln. Als zentrales Werk nimmt "Le Magasin de Ben" einen eigenen Raum ein. Von 1958 bis 1973 war sein Laden für gebrauchte Schallplatten in Nizza Treffpunkt der südfranzösischen Kunstszene und Schauplatz zahlreicher Aktionen und Ausstellungen. Mit Arman, Yves Klein und Martial Raysse gehört Ben zu den Begründern der École de Nice. In seinem Magasin traf sich Kunst und Leben und hier bildeten sich die Maßstäbe für seinen Anspruch an die künstlerische Freiheit. Hier war es auch, wo Yves Klein angesichts der ausgestellten Bananenbilder Ben anregte es doch lieber mit Schrift zu versuchen, ein Schritt, der seither seine Kunst ausmacht und als bildhafte Kommentare zu Ben's Signatur geworden sind. Die Ladengestaltung mit zahlreichen Schriftbildern und Objekten entwickelte sich parallel zur Entwicklung der Schriftbilder. Heute ist die Installation Teil der Sammlung des Centre Georges Pompidou in Paris. Im und für den Laden malte, schrieb und produzierte Ben Schilder – Werbe- und Schriftbilder und formulierte Fragen zu einem künstlerischen Selbst, zur Kunst oder zur Welt. Die Radikalität seines künstlerischen Anspruchs führte schliesslich dazu alles, aber auch wirklich alles zu signieren wie es in "Je signe tout Ben 1960" (1960) nachzulesen ist und alles als Kunst zu begreifen "Tout est art" (1961). Von Duchamps Erkenntnissen zum Verhältnis von Objekt, Signatur und Kontext verfolgte Ben die Annahme, dass sich ein Kunstwerk nicht aufgrund seiner Materialität sondern durch die Signatur des Künstlers zu erkennen gibt. In Werken wie "Absence d'art = Art. Art total" (1963), "pas d'art" (1964) oder "pas datée" (1965) wird selbst das Nichtvorhandensein von Kunst als Kunst bezeichnet. Somit ist Ben's Kunstanspruch total, universell und immerwährend. Als ein Schlüsselwerk dies zu enträtseln, gelten "toile + peinture + idée + intention" (1972) und "Tout ce que vous voyez" (1970). Der erste retrospektive Teil der Ausstellung im Museum Tinguely versammelt Werke aus den Jahren 1958 bis 1978. Im zweiten Teil der Ausstellung gestaltete der Künstler mehr als 30 Themen, die von Sexualität und Tod, von Mythen und Religion, von Zeit und Geschichte aber auch von Courage, Narzissmus und von Selbstkritik handeln. Hier zeigt sich Ben's gesamter alles umfassender Kosmos und die zahlreichen Kojen umgeben eine mit bequemen Sitzmöbeln ausgestattete zentrale Oase. Dieses extra für Basel geschaffene "Centre mondial du questionnement" enthält Fragen, einige wegweisend-philosophisch, andere irritierend-manipulierend und lädt die Betrachtenden ein, das Gelesene und Gesehene zu reflektieren. Die Pause hat man bitter nötig, denn die Vielfalt des Gezeigten ist immens. So gehören mit zum Reizvollen an dieser Ausstellung die zahlreichen Entdeckungen, die Ben über die Jahre hinweg bereithält. Grandios die Wand "Der arme Kunstsammler" (1989-2015) mit Werken wie "Le Richter du pauvre", "Le Tinguely du pauvre" oder "Le Koons du pauvre" an der Ben mit wenigen Fundstücken den Trug der sündhaft teuren Werke seiner Kollegenschaft kommentiert. Auf die Entdeckung, dass die Liebe aus Worten besteht "L'amour c'est des mots." (1958) folgt beispielsweise die Erkenntnis, dass Worte doch nur Dinge sind "Les mots c'est des choses." (1974), welches wiederum zu "plus ça change plus c'est la même chose." hinführt und somit zeigt, dass sich Vieles ändert, Vieles wiederum auch nicht. Dieses Spiel der Verkettung von Werken lässt sich in vielfältigen Varianten durchspielen. Letztendlich geht Ben Vautier der Gesprächsstoff nicht aus und er hat auch in seinem Spätwerk noch Einiges zu sagen: "J'ai quelques chose à dire." Und dass dem Fluxuspionier die Konfrontationen nicht ausgehen, beweist er mit einem Hindernis, welches sich den Betrachtern in den Weg stellt: "Übung für Ihr Ich: Bücken Sie sich vor Ben Vautier."

Mehr Texte von Janine Stoll

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Ben Vautier: Ist alles Kunst?
21.10.2015 - 22.01.2016

Museum Tinguely
4002 Basel, Paul Sacher-Anlage 2
Tel: +41 (0)61 681 93 20, Fax: +41 (0)61 681 93 21
Email: infos@tinguely.ch
http://www.tinguely.ch
Öffnungszeiten: Di-So 11–19 h


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