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Seducidos por el arte – Verführt von der Kunst. Vergangenheit und Gegenwart der Fotografie: Nachtmusik

Es geht um den Einfluss klassischer Gemälde alter Meister auf die Pioniere der Fotografie und die zeitgenössischen Fotokünstler. „Verführt von der Kunst – Vergangenheit und Gegenwart der Fotografie“ zeigt, wie die Fotografie seit ihren Anfängen in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts aus den Quellen der Malerei geschöpft hat und das, nicht nur in ironischer Form, bis heute tut. Als These nicht erstaunlich, als Ausstellung mit der Gegenüberstellung der Werke verschiedener Epochen und Techniken sehenswert. Nach Stationen in London und Barcelona ist die Koproduktion der Londoner National Gallery und der Kulturstiftung der Sparkasse „La Caixa“ jetzt in leicht veränderter Form in Madrid: 130 Porträts, Akte, Stillleben und Landschaften hat die Kuratorin Hope Kingsley versammelt. So zeigt sich eine klare Parallele zwischen Jeff Walls großformatigen Lichtkasten „Das zerstörte Zimmer“ (1978/1987) mit Matratzen und Stoffbergen und Frédéric Villets in Öl gemalter früher Kopie (1844) vom „Tod des Sardanapal“ von Eugène Delacroix: ästhetisch inszenierte Zerstörungswut. Bei Sarah Jones „Altem Zeichenstudio“ (2008) bleibt davon, reduziert auf die Essenz, eine graue Matratze mit einem faltenreich drapierten lila Stoff. Oft sind es nur noch einzelne Aspekte, die bei den Zeitgenossen als Zitate wirken. Manchmal sind die ersten Fotografien rein dokumentarische Reproduktion, etwa die sepiafarbenen Tulpen Ende der 1860er Dekade, manchmal eindeutig inspiriert von Altmeistergemälden: Roger Fentons überladene Früchtestillleben auf Albuminpapier von 1860. Diese ersten Kompositionen werden von den Gegenwartskünstlern aufgenommen und wiederum rein dokumentarisch (John Blakemore, Tulipa 1994, wie von Merian gezeichnet) nachgebildet, als pseudo-religiöse Malerei verweltlicht (Broadhead, 2010) oder als leuchtende Stillleben modernisiert. Neben einem prächtigen dunklen Stillleben des spanischen Meisters Luis Meléndez aus dem späten 18. Jahrhundert ist Evelyn Hofer (1922 bis 2009) mit schwarzer Vase und einem plastischen Früchteteller eine Fotografie gelungen, in die man hinein beißen möchte. Dieser Wunsch stellt sich nicht ein bei Sam Tayler-Woods DVD vom faulenden Obstteller (2001): „nature morte“ im wahrsten Sinne. Ein großer farbenfroher Bumenstrauß von Fantin-Latour (Öl auf Leinwand von 1886) trägt den schönen Titel „Der herrliche Reichtum des Juni“. Ein alter Strauß des Niederländers Balthasar van der Ast aus dem Jahr 1630 korrespondiert mit Adolphe Braun, der einen Strauß Malven als kleine Fotografie 1857 verewigt hat, als Fotografien noch überwiegend monochrom waren. Trotzdem führt das Licht- und Schattenspiel zu fast farbiger Tiefenwirkung. Geradezu respektlos wirkt da Ori Gershts großes C-Print „Blow Up“ von 2007 mit einem explodierten Blumenstrauß. Das making-of läuft als fünfminütiger Film „Big Bang 2“ auf schwarz gerahmten Bildschirm und untermalt von einem sich steigernden sirrenden Klang bis hin zum Explosionsknall, mit dem das nette Sträußlein nebst Glasvase in die Luft fliegt und sein eigenes Universum bildet. Als Premiere in Madrid: Der spanische Fotograf und Nationalpreisträger José Manuel Ballester setzt sich mit Francisco de Goyas historischem „3. Mai 1808“ auseinander. Das bewegende Bild, das im Prado hängt, zeigt die Erschießung spanischer Rebellen durch die napoleonischen Besatzer in Madrid. Goya hatte das Geschehen möglicherweise beobachtet, aber erst 1814 auf die Leinwand gebannt. 200 Jahre später hat Ballester einen überdimensionalen Fotodruck auf Stoff angefertigt, auf dem alle Figuren digital gelöscht sind. Es bleibt das schemenhafte Stadtbild als Kulisse und die leuchtende quadratische Laterne als symbolträchtige Allegorie auf die Geschichte. Zum Schluss noch eine dringende Bitte, die nicht nur diese Ausstellung betrifft: die sonore Begleitung, musikalische Untermalung oder akustische Verstärkung einzelner Videos müsste unbedingt den räumlichen Begebenheiten angepasst werden, in den meisten Fällen also leiser gestellt werden. Es ist völlig unangebracht, wenn eines von Chopins „Nocturnes“ als schepperndes Endlosloop die gesamte Schau in ein einziges Geklimper verwandelt, das nichts mit den 129 Werken zu tun hat, nur mit Maisie Broadheads und Jack Coles erfrischendem Video „Ode an Hill und Adamson“. Hill und Adamson hatten 1843 das erste Photoatelier Schottlands gegründet. Das Video von 2012 wurde extra für die Ausstellung kreiert und stellt das Porträt einer jungen viktorianischen Frau, ein Photo von 1844, nach. Während Techniker, Kostümbildner und Maske im Zeitraffer hin und her flitzen, spielt das Modell ganz unzeitgemäß mit dem Handy: eben Vergangenheit und Gegenwart der Fotografie.
Mehr Texte von Clementine Kügler

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Seducidos por el arte – Verführt von der Kunst. Vergangenheit und Gegenwart der Fotografie
19.06 - 15.09.2013

CaixaForum Madrid
28014 Madrid, Paseo del Prado, 36
Tel: +34 902 223 040
http://www.lacaixa.es/obrasocial
Öffnungszeiten: Mo-So 10-20 h


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