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Thomas Schütte: Schütte gegen Schütte

Hier große und kleine Köpfe in weitläufigen Ausstellungsräumen. Dort Architekturmodelle, wahlweise im Maßstab 1:1 oder im Puppenstuben-Format, ins beste Licht gerückt. Mit Thomas Schütte zeigen zwei Schweizer Ausstellungsinstitutionen derzeit unabhängig voneinander denselben Künstler, berücksichtigen jedoch unterschiedliche Werkgruppen. Die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel widmet sich der Figur. Keine hundert Kilometer entfernt im Kunstmuseum Luzern verweist der Ausstellungstitel auf den Schwerpunkt „Houses“. Diese Zweiteilung ist keine zufällige. Thematisch verdichtet sich das Schaffen des Künstlers über die letzten dreißig Jahre hinweg auf die Gestaltung von Figuren und Architekturen. Das erlaubt den Institutionen, ihre Ausstellungen inhaltlich völlig unterschiedlich auszurichten. Trotzdem werden bei der Betrachtung der Werke die charakteristischen Vorgehensweisen des Künstlers an beiden Orten deutlich. Ansonsten bleibt jegliche Redundanz aus, abgesehen von einzelnen Werken, die als eingestreute Querverweise gelesen werden können. Pinsel, Holz und Bronze stehen stellvertretend für den vielfältigen Einsatz von Techniken und Materialien des in Düsseldorf tätigen Künstlers. Diese Vielseitigkeit schafft Abwechslung, selbst dann, wenn die einzelne Ausstellung nur einen Teil aus dem Gesamtwerk berücksichtigt. In Riehen schaut man in viele Gesichter. Auf Sockel gelegte Köpfe und aufgereihte Büsten sind genauso anzutreffen wie stehende und liegende Figuren. Mehrfachbegegnungen in Form von Varianten sind bezeichnend für Thomas Schüttes Arbeitsweise. Die „United Enemies“ sind einmal als Handpuppen mit modellierten Glatzköpfen und Lumpen als Kleider zu finden, ein andermal gegossen als überlebensgroße Bronzeplastiken. Kleine glasierte Keramikmodelle sind an anderer Stelle als große liegende Frauenkörper aus Bronze, Stahl oder Aluminium wiederzuentdecken. So fordern unterschiedliche Materialien und Oberflächenbehandlungen zur eingehenden Betrachtung jeder einzelnen Skulptur auf. Mal sind die Objekte aus transparentem Glas gegossen. Mal glänzt die Oberfläche von schillernder Farbe. Auf Bronzeskulpturen liegt eine rostige oder grüne Patina – als wären die Skulpturen jahrelangen Witterungseinflüssen ausgesetzt gewesen. Selbst glänzende Aluminiumoberflächen sind nie ganz eben, sondern porös. Den Künstler interessieren Oberflächen, die anstelle von Makellosigkeit ihre eigene Materialität erlangen, indem sie interessante Farben und Strukturen offenbaren. Hinzu kommt, dass die Figuren stets klar erkennbare und gut ausgearbeitete menschliche Züge aufweisen. Dennoch sind sie niemals perfekt, sondern grob modelliert, unvollständig und deformiert. Bei den Architekturmodellen in Luzern hingegen herrschen geometrische Formen und klare Linien vor. Ein Bett, Lampen und Vasen, Toilette und Küche verweisen – das Interieur ist ausnahmslos auf das Wesentliche reduziert –auf eine potentielle Bewohn- oder Benutzbarkeit der Objekte. Seltener geben kleine Figürchen eine Vorstellung von der räumlichen Dimension eines Modells. Meist ist der Mensch gänzlich abwesend. Es sei denn, der Besucher betritt einen in Realitätsgröße wiedergegebenen Raum wie die begehbare Installation „Ferienhaus für Terroristen“ von 2009, die an modernistische Wohnhäuser erinnert. Ein angedeuteter Kamin mitten im Raum verspricht heimelige Wärme für die imaginären Bewohner. Ansonsten ist nur das nötigste Mobiliar vorhanden. Die stark auf Funktionalität ausgerichtete Ausstattung dient hauptsächlich der unterstützenden Visualisierung der Idee, die der Architektur zugrunde liegt. Gleichzeitig nimmt der Künstler kritisch Referenz an modischen Auswüchsen der Baukultur. Erste architektonische Modelle schuf Thomas Schütte schon 1980 – als er noch an der Düsseldorfer Kunstakademie studierte – für eine von Kaspar König kuratierte Ausstellung. Aus finanziellen Gründen konnten seine Entwürfe damals nicht in der beabsichtigten Größe realisiert werden. Stattdessen zeigte er Modelle im Maßstab 1:5. Seither zieht sich die Präsentation von Modellen, aber auch deren Wiederaufnahme und Realisierung, durch sein gesamtes Schaffen. Dasselbe Prinzip wendet er auch bei den Skulpturen erfolgreich an. Einige Versionen der Skulpturen sind von ihrer Größe und Beschaffenheit her gut für das Museum und für Sammler geeignet. Andere haben ihren festen Standort im öffentlichen Raum oder sind temporär unter freiem Himmel platziert. Im Vorfeld der Ausstellung in Riehen legte die monumentale Figurengruppe „Vier Große Geister“ (2003) einen Zwischenhalt auf öffentlichen Plätzen in Zürich, Genf und zuletzt Bern ein. Damit wiederholte die Fondation Beyeler eine erfolgreiche Aktion von 2011: In denselben Städten tauchte damals vor der Ausstellungseröffnung von Louise Bourgeois die Riesenspinne „Maman“ auf. Auch das Kunstmuseum Luzern beruft sich mit der Ausstellung zu Thomas Schütte auf ein etabliertes Konzept. Nach „Nouvelles boîtes!“ und „Jorge Macchi – Container“ ist es die dritte Ausstellung, in der zeitgenössische Kunst den Raum thematisiert und insbesondere auf die Räumlichkeiten des Museums reagiert. So verschieden die beiden aktuellen Ausstellungen inhaltlich sind, so unterschiedlich ist auch die institutionsbezogene Anbindung. Eine Gemeinsamkeit ist in der Vorgeschichte zu finden. Die Ausstellung mit den Skulpturen und Figurenzeichnungen von Thomas Schütte ist in Kooperation mit der Serpentine Gallery in London entstanden. Auch die Präsentation der Architekturmodelle und Drucke zum selben Thema geht aus einer institutionellen Zusammenarbeit mit dem Nouveau Musée National de Monaco hervor. Beide Ausstellungen finden erneut parallel statt, haben gegenüber von 2012 aber in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler einige Anpassungen erfahren. Aufgrund der geografischen Nähe wird die Begegnung mit einer großen Werkauswahl möglich. Die Wirkung unterschiedlicher Größenverhältnisse und Variationen wird erfahrbar, der mit den Werken einhergehende gesellschaftskritische Unterton verfolgt einen dabei, insbesondere in den Titeln, auf Schritt und Tritt.
Mehr Texte von Sonja Gasser

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Thomas Schütte
06.10.2013 - 16.02.2014

Fondation Beyeler
4125 Riehen / Basel, Baselstrasse 101
Tel: +41 - (0)61 - 645 97 00, Fax: +41 - (0)61 - 645 97 19
Email: fondation@beyeler.com
http://www.beyeler.com
Öffnungszeiten: Mo-So 10-18, Mi 10-200 h

Kunstmuseum Luzern
6002 Luzern, Europaplatz 1
Tel: +41 (0) 41 226 78 00, Fax: +41 (0) 41 226 78 01
Email: info@kunstmuseumluzern.ch
http://www.kunstmuseumluzern.ch/
Öffnungszeiten: Di, Mi 10-20, Do-So 10-17 h


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