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Punkt.Systeme - Vom Pointillismus zum Pixel: Wie aus Punkten Bilder werden

Wie oft machen wir täglich einen Punkt oder sehen Punkte? Sicher mehr, als wir schätzen würden. Punkte sind überall, vor allem: Im Satz. Im Bild. Als Dekor auf Kleidung und Alltagsgegenständen. Unsere Kommunikation in Wort, Schrift und Bild kommt heute kaum noch ohne den Punkt aus. Für so manche Gespräche mag das sinnvoll sein, wenn das Gegenüber endlich mal einen Punkt macht. Der Punkt scheint heute ganz wesentlich zu sein, unverzichtbar und zugleich dadurch so alltäglich, dass man nicht mehr bewusst darüber nachdenkt. Doch wie sieht der Punkt aus? Welche Form hat er? Ist er nur ein ungegenständlicher Fleck? Oder quadratisch, vielleicht rund? Die reine geometrische Definition hilft da kaum weiter und im Sprachgebrauch hat sich der Punkt schon längst jenseits seiner wie auch immer gearteten Form etabliert. Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit von Bildern durch Sieb- und Offsetdruck hat der Punkt auch Einzug ins Bild genommen. Bilder in Zeitungen sind durch das mehrstufige Druckverfahren aufgerastert in zahlreiche kleinste Punkte, die nur unter der Lupe sichtbar werden. Mit dem Einzug der Computer und digitalen bildgebenden Verfahren werden die Fotografien und ihre dargestellten Gegenstände aufgelöst in Pixel. Dabei wird der Begriff „Bildauflösung“ durch Pixel für den technischen Vorgang sowohl für die Wiedergabe auf Monitoren, als auch im Druckbereich verwendet und hat hier keine destruktive Note. Das Wilhelm-Hack-Museum, das mit seiner herausragenden Sammlung ungegenständlicher Kunst bekannt geworden ist, hat nun eine sehenswerte Ausstellung zusammengestellt, die dem Phänomen des Punktes als abstrakte Form im Bild nachgeht und wieder ins Bewusstsein rückt. Allein die Künstlerauswahl von fast 60 Künstlern ist schon beachtlich und reicht vom Pointillismus über die Pop-Art bis heute. Als es noch keine Digitalkameras gab, begannen einige Künstler im ausgehenden 19. Jahrhundert erstmals Bilder aus zahlreichen kleinen Punkten zu malen. Jeder Gegenstand, jede Form und Farbfläche wurde durch kleinste regelmäßige Tupfer aus reinen, ungemischten Farben erschaffen, die eng nebeneinander stehen und im Komplementärkontrast auf die Leinwand aufgetragen wurden. Erst aus einer gewissen Distanz und im Auge des Betrachters vermischen sich die Farbpunkte und formen sich zu einem Gesamtgefüge. Aus der Nähe betrachtet, flimmern die einzelnen Punkte vor dem Auge und lassen den zuvor aus der Ferne gesehenen Bildgegenstand nicht mehr wiedererkennen. Georges Seurat, der Begründer des Pointillismus (frz. Point = Punkt), beschäftigte sich intensiv mit den damals neuen Erkenntnissen zur Farbenlehre von Eugène Chevreul und entwickelte diese Malweise Anfang der 1880er Jahre mittels wissenschaftlich belegter Farb- und Wahrnehmungstheorien. Seinen Stil nannte er zunächst Chromo-Luminarismus (Farblichtmalerei), später dann Divisionismus (Teilungsmalerei), der von seinem Künstlerkollegen Paul Signac und anderen fortgeführt wurde. Ablehnende Kritiker bezeichneten die Malweise damals spöttisch als Confettisme, Konfettikunst. In der Ausstellung „PUNKT-SYSTEME. Vom Pointillismus zum Pixel“ gehen die Kuratoren jenen Systemen nach, die sich durch die Punktierung von und in Bildern ergeben. Doch sind die Pointillisten, die hier mit Bildern von Paul Signac und Adolf Erbslöh vertreten sind, mit den heutigen Pixelbildern vergleichbar? Die Frage lässt sich allein durch die unterschiedliche Entstehung der Bilder – hier die manuelle Malweise, dort die technische Produktion – beantworten. Tatsache ist aber, dass die Pointillisten nach einem System malten und die heutigen digitalen Bilder durch ein technisches System erstellt werden. Beide Systeme sind heute grundlegende Vorbilder für zahlreiche Künstler geworden, die sich mit Punktsystemen auseinandersetzen. Die formal stark abstrahierende pointillistische Technik war zudem Grundlage für gegenstands- und bildraumauflösende Tendenzen in der Kunst des 20. Jahrhunderts. In der Ausstellung wird deutlich, wie variantenreich Bilder, Skulpturen, Videos und Rauminstallationen mit Punkten jonglieren und wie spielerisch der Umgang mit dieser kleinen ungegenständlichen Einheit sein kann. So malte Sophie Taeuber-Arp in ihrem Aquarell „Composition schématique à rectangles“ von 1930 einzelne kleine Kreise und Striche und setzt diese nebeneinander auf eine dunkle Fläche. Die Elemente scheinen geordnet wie nebeneinander gelegte Dominosteine, und doch schleichen sich bewusste Fehler ins System. Hier trifft Ordnung auf Unordnung, die schnell zum Chaos werden könnte. Chaotisch und bunt geht es in der Installation „The Obliteration Room“ von Yayoi Kusama her. Hier kann der Besucher nach Herzenslust viele bunte Klebepunkte in einem eingerichteten Raum auf weiße Möbel und Wände kleben. Je mehr Punkte kleben, umso weniger wird der Raum am Ende als solcher wahrgenommen. Die Punkte siegen und verflachen den Raum. Warum? Vielleicht, weil hier kein System, keine Farbtheorie mehr dahinter steckt, sondern das Chaos regiert. Kusamas Obsession und Passion für den Punkt hat auch eine dunkle Seite: Sie lebt seit 1977 in einer Nervenheilanstalt und erhielt 2006 den weltweit am höchsten dotierten Kunstpreis „Praemium Imperale“. Sehenswert ist auch das Video von Rivane Neuenschwander, in der Ameisen verschiedene Farbpunkte verschieben und auf ihre eigene Weise versuchen, Ordnung ins System zu bringen. Mit der Verpixelung der Fotografie schafft Thomas Ruff auf eindrucksvolle Weise einen Bogen zur Malerei. Seine zum Teil aufgerasterten und großpixelig angelegten Bilder aus der Serie jpg wirken unscharf und das Motiv malerisch verzerrt. Die Pixel werden zu Störfeldern und führen zum Informationsverlust im Detail. In den Sternenbildern, für die er wissenschaftlich-astronomische Vorlagen verwendet, werden die Sterne zu weißen Punkten in einer schwarzen Fläche und damit zum abstrakten Bild. Schon am Eingang des Museums wird dem Besucher mit einer Installation von Christoph Dahlhausen signalisiert: Hier geht’s zum Punkt. Zahlreiche kleine bunte Kreise kleben auf den Fenstern der Rückseite des Gebäudes und werden allmählich nach vorne hin zu Spiegelpunkten auf der Glasfront, die den ankommenden Besucher mit sich selbst konfrontiert. Sein Kopf spiegelt sich im Punkt und wird gleichsam Teil der Installation – zumindest für einen pointierten Augenblick. In der sehenswerten Ausstellung und den zahlreichen Begleitveranstaltungen wird deutlich, wie der Punkt mit der Zeit geht und Künstler sowohl auf neue Bildgebende Verfahren und reproduzierende Drucktechniken reagieren – wie zum Beispiel Roy Lichtenstein und Sigmar Polke auf den Siebdruck in den 1970er Jahren, Thomas Ruff heute auf die Pixel – als auch neue künstlerische Systeme und Bildarten erschaffen. Und wer noch mehr wissen möchte, dem ist die zeitgleich laufende Ausstellung „Rasterfahndung“ im Kunstmuseum Stuttgart zu empfehlen, die die Bedeutung des Rasters in der Kunst am Beispiel von rund 50 Künstlern untersucht.
Mehr Texte von Ulrike Lehmann

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Punkt.Systeme - Vom Pointillismus zum Pixel
16.06 - 30.09.2012

Wilhelm-Hack-Museum
67059 Ludwigshafen, Berliner Strasse 23
Tel: +49 621 504 3045
Email: hackmuseum@ludwigshafen.de
http://www.wilhelmhack.museum/
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 11.00 - 18.00 Uhr
Do 11.00 - 20.00 Uhr
Sa, So & Feiertage 10.00 - 18.00 Uhr


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