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Warteräume

Das Leopold Museum im Wiener MQ wird architektonisch durch zwei symbolisch bemerkenswerte Details dominiert. Da ist einerseits der helle, glatte Kalkstein, aus dem der gesamte Bau monolithisch herausgefräst zu sein scheint und der ihm die Wirkung einer ägyptischen Pyramide inklusive Ewigkeitsversprechen verleiht. Das andere erstaunliche Detail ist die monumentale Lounge in der Mitte des Museums. Drei Stockwerke hoch und von Licht durchflutet dient die Lounge einzig und allein dem Sitzen und Warten. Von Kunstwerken – das Museum ist auf Gemälde von Egon Schiele und anderen Vertreter der modernen Figuration spezialisiert – ist nichts zu sehen. Und auf was man auf den dortigen Sesseln warten sollte, ist auch nicht klar. Warten scheint hier lediglich reiner, hoch ästhetisierter Selbstzweck zu sein, positioniert als zentrale Lebensform. Tatsächlich kommt in unserer globalisierten Gesellschaft Warteräumen eine essenzielle Bedeutung zu. Permanente Verschiebungen bestimmen heute die meisten Lebensbereiche, berufliche, touristische und partnerschaftliche Mobilität ist alltäglich geworden. Immer mehr Menschen verbringen immer mehr Zeit vor ihren beschleunigten Reisen in Situationen zwischen hier und dort. Der französische Ethnologe Marc Augé prägte für diese Räume den Begriff der "Nicht-Orte" und stellte fest, dass sie in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Funktionszuwachs erfuhren. Lounges zum Beispiel dienen nicht mehr allen dem Warten und der Langeweile, sondern ebenso als Punkte der Verabredung, als Besprechungszimmer und temporäre Büros. Nicht zuletzt dienen sie aber auch als wieder eingeführtes Mittel der Distinktion zwischen 1. und 2. Klasse, zwischen Economy und Business Kunden. Legendär ins Bild gesetzt wurde das heutige schwebend Ortlose dieser Räume schon 1968 in Stanley Kubricks Science-Fiction-Film 2001: A SPACE ODYSSEY. Mitten im All rotiert darin ein Raumschiff, dessen soziales Zentrum eine komplett weiße „Hilton-Lounge“ ist. In diesem Stück Innenarchitektur hat Kubricks Drehbuchautor Arthur C. Clarke das reale Jahr 2001 / 2011 symbolisch und materiell bereits gut imaginiert. Seine klinisch glatte, zeit- und grenzenlose Lobby ist mittlerweile zum gängigen Typus geworden. Wie die deutsche Kunsthistorikerin Monika Wagner jüngst anlässlich ihres Vortrags "Soziale Oberflächen. Hotelfoyers, Flughäfen und andere Warteräume" am Wiener IFK ausführte, gleichen sich die Lobbys und Lounges weltweit immer mehr an: „Nicht Materialvielfalt ist für sie charakteristisch, sondern gerade eine Homogenisierung und Glättung der Oberflächen im Dienste der als Waffe gegen den Vandalismus propagierten "drei S": "Sicherheit, Sauberkeit, Schönheit".“ (1) In ihrem spannenden Vortrag analysierte Wagner Wartesäle als Symptome gesellschaftlicher Veränderungen und verwies darauf, wie sehr in all den gegenwärtigen Architekturen des Wartens die Oberflächen darauf angelegt sind, den Wartenden als gehobenen Konsumenten auszuweisen. Besonders aufhorchen ließ mich zudem ihre Beobachtung, auf welche Art Kunstwerke in dieses Setting der Distinktionen eingebunden sind. Erstaunlicherweise werde nämlich in die purifizierten Räume mit ihren glänzenden Oberflächen aus ranghohen Materialien immer öfters über den Umweg der Kunst symbolisch genau das re-integriert, was systematisch ausgeschlossen bleibt: „Niedere Materialien und Werke einer "Arte povera" werden spolienartig isoliert einbezogen, um das Andere der Gesellschaft im Kunststatus zu repräsentieren.“ So steht dann also just im Foyer einer Finanzfirma eine Autoschrottskultur von John Chamberlain, oder in einer Shoppingmall werden „antimaterielle“ Werke von Robert Morris, Georg Segal oder Robert Smithson nachgebildet. Das traditionelle Up-grading durch Kunst wird damit also genau umgekehrt: Die Kunstwerke dienen hier nicht mehr wie früher mit goldenen Rahmen als Bereicherung ihrer Umgebung, sondern als Relativierung der sie umhüllenden kalten Glätte. Beim nächsten Besuch im MUMOK (ebenfalls MQ Wien) werde ich diesbezüglich wohl besonders die „ärmliche“ Fluxus-Sammlung suchen und schauen, in welchem räumlichen Kontrast sie dort aktuell steht. Aber vielleicht wird diese Sammlung in einer Art Umkehrschluss ja gar nicht mehr im Museum gezeigt.
Mehr Texte von Vitus Weh

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