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Nicht Hybris noch Hype

Ein Rundgang durch Münchner Galerien anlässlich der Open Art Vielleicht bedarf es in Zeiten wie diesen dem Beständigen, fixen Größen, die sich nicht so einfach verschieben, verrücken oder gar absagen lassen. Die Münchner Open Art, die gemeinsame Eröffnung der Galerien nach dem Sommerloch (in diesem Jahr mehr als prall gefüllt mit dem „American Summer“ in der Pinakothek der Moderne), ist so ein Fall. Vielleicht nicht ganz so hip und medial munitioniert wie die Parallelveranstaltung in Köln und Düsseldorf, erweist sich die „Urmutter“ aller Kunstwochenenden zum Saisonstart als so hochwertiger wie wertkonservativer Veranstaltungsreigen jenseits modischer und spekulativer Torheiten, fernab von Hype und Hybris. In der krisenresistenten Hauptstadt der antizyklischen Bewegungen, in der jedes Wellental auf dem Eisbach (am Haus) der Kunst mit gleichmütiger Contenance umsurft wird, punkten annähernd 70 Galerien, mitunter mit Evergreens aus ihrem Programms. Man zeigt, was man hat, und was andere eigentlich auch schon längst haben sollten: Von wegen FLUCHT in SACHWERTE. Aus dem immer noch unangestrengt zu bewältigenden Angebot ragen indes einige Shows von Künstlern der Generation 50 minus hervor, die sich zumindest mittelfristig vollends etablieren werden. Und dazu muss man kein Prophet sein. Benjamin Bergmann thematisiert bei Nusser & Baumgart zu den Aktionstagen der Galerien den Warencharakter der Kunst, ihre nur bedürfnisorientiert eingeschränkte Verfügbarkeit und Handelbarkeit. Der für seine großräumigen Installationen bekannte, 2011 mit dem Preis „Künstler des Jahres“ der VHV Versicherungen in Hannover ausgezeichnete Münchner Künstler führt in einem fast klassisch anmutenden Setting den überlieferten Kanon der Bildhauerei und sein aktuelles Update vor Augen. Auffällige Spuren der Herstellung der abgegossenen Schaufenster- und Aufblaspuppen relativieren dann aber doch einen so schonungs- wie makellosen Schönheitsbegriff aus der Retorte. Den legendären Schaubühnenzauber der Open Art verlängert der zweite Teil der Installation weit über die Mysterien eines kurzzeitigen Kunstsalons hinaus: Die Ruß- und Rauchspuren in Glasvitrinen, die abgebrannte Knallkörper und Knallköpfe hinterlassen haben, die kärglichen Überbleibsel von „Fegefeuer“ oder „Diamantsonne“ (Werktitel), die von den damit verbundenen Hoffnungen und Erwartungen gekündet hatten, lassen unwillkürlich an das böse Erwachen am Morgen danach denken: Die ewig wiederkehrende Party eines unaufhaltsam boomenden und brummenden Kunstjahres sieht sich gleich zu Beginn an ihrem Ende angelangt. Vergänglichkeit allerorten. Ach… Mit doppelbödigen Botschaften argumentiert auch Stefan Sandner bei Andreas Grimm. Natürlich kennt man die vermeintlich so beliebig, weil flüchtig und flüchtend hingeworfenen Kritzeleien und Krakeleien, Kryptogramme des Alltäglichen und der Launen des Momentanen auch an der Isar. Und doch entfalten die Abschriften und Nachzeichnungen meist anonymer Fundblätter gerade an der Türkenstraße, wirklich nur einen Steinwurf von der Sammlung Brandhorst und der weihevollen Absegnungshalle für Cy Twombly entfernt, einen ganz eigenen Reiz. Während bei Twombly jedoch beständig mit der Geschichtlichkeit und der Bedeutsamkeit von Strich, Gestus und Genie kokettiert wird, relativiert sich bei Stefan Sandner jede noch so anmaßende Forderung (Ewigkeit! Unantastbarkeit! Unendlichkeit!) in einem schlichten, lakonisch-melancholisch geseufzten „Ach…“, das sich im nächsten Pinselstrich natürlich sofort wieder zurücknimmt. Weniger gestisch getrieben dagegen „Nothing but a Transit“ von Sébastian de Ganay“ bei Häusler Contemporary. Im Fall des 49jährigen französischen Künstlers ist alles, was Malerei und eben auch Bildhauerei betrifft, aus einem Konzept abzuleiten, wie alles darin münden muss. „Jeden Morgen, auf der Titelseite meiner Tageszeitung, stoße ich auf ein Photo, eine Geschichte, meist eine Tragödie, die ich schnell überfliege und genauso schnell wieder vergesse“, kommentiert der Künstler die beschleunigte Befindlichkeit des medial gehetzten Menschen von heute. Aus eben der einen fotografischen Vorlage, in diesem Fall eine nah gehende Aufnahme während der ersten Intifada (1987-1993), konstruiert de Ganay eine eigene Geschichte, seine Geschichte und sein Werk. Indem er Elemente der ursprünglichen Komposition isoliert, arrangiert und ordnend in neue materielle Zusammenhänge bringt, fügt er das Fremde (der Welt) behutsam in das Vertraute (der Kunst) ein. Da kann sich die Bildfläche mühelos in kreisrunde Fragmente zerlegen und aus den Fetzen der Erinnerung wieder zusammensetzen, geknicktes Aluminium ein minimalistisches Faltboot formen oder Spielbälle sich in ihrer Camouflageuniform wie von selbst im Aus von Täuschung und Tarnung versenken. Alles scheint einer übergreifenden Struktur zu entsprechen: Emotion im / trotz Experiment. Und Kunst als kundenkompatibles Gut: Die Arbeiten seines Projekts „Art on Demand“, wie eben jenes überdimensionierte Papierschiffchen, sind individuellen Wünschen entsprechend, in verschiedenen Farben realisierbar. Links zu den Galerien und Museen unter www.openart.biz
Mehr Texte von Stephan Maier †

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