Werbung
,

Are you ready for TV?: Kunst und Fernsehen – Fernsehen und Kunst

Ob ich bereit für das Fernsehen sei, habe ich mich zugegeben noch nie gefragt. Und nun stellt mich das MACBA in Barcelona mit dem 1954 in den USA geprägten Werbeslogan - „Are you Ready for TV?“- vor ein Problem: Kann ich für etwas bereit sein, dass vor meiner Geburt eingeführt und in meiner Kindheit längst Alltag war? Oder meint das „you“ gar nicht mich, sondern die Künstler der 60er und 70er Jahre, die auf das neue Massenmedium reagierten? Also: Television zwischen der Trivialität seiner Konventionen und dem Abenteuer Kunst? Fernsehen goes Internet: In Anbetracht der Unmöglichkeit, eine Ausstellung mit TV-Projekten zwischen zwei Buchdeckeln zu pressen, erschien der Katalog ausstellungsbegleitend auf www. macba.cat. Kurator Chus Martínez lud Denker und Künstler_innen wie David Lamelas, Judith Barry und Johan Grimonprez ein, ihre Texte neben einer umfassenden Sammlung von Fernsehbeiträgen im Netz zu veröffentlichen und zur Diskussion zu stellen. Dies könnte man als ein Symptom der Historizität des Fernsehens deuten, kommt es hier zu einer Verschiebung der Rezeption vom privaten Wohnzimmer in die Institution Museum und von dort ins World Wide Web. Dass es bereits beim Gebäude des MACBA um visuelle Kommunikation geht, macht die Glasfassade des Richard-Meier-Baues deutlich. Auf dem Weg über die Rampe zum zweiten Stock kann man das Leben am Vorplatz beobachten. Ob die Skateboarder sich darüber im Klaren sind, dass sie sich wie auf einer Bühne dem Museumsbesucher präsentieren? Sich selbst darzustellen und für die Kamera zu posieren, ist dann auch gleich in der Ausstellung ein Hauptthema. Der Filmemacher Brian Springer schnitt Material von der Präsidentschaftswahl 1992 in den USA zusammen, um die Konventionen des Mediums aufzudecken. Die Kandidaten, Fernsehmoderatoren und Korrespondenten wähnten sich allesamt von der Kamera unbeobachtet, machten unangebrachte Witze, verzweifelten an Interviewpartnern und deren Formulierungen etc., um dann Sekunden später völlig korrekt am Bildschirm zur Primetime zu erscheinen. Springer dekonstruiert das Fernsehen mit Hilfe des Mediums selbst, handelt es sich bei den Aufnahmen doch um „100% unautorisiertes Satelliten-Found Footage“. Diesem Ansatz diametral gegenüber steht Andy Warhols Aneignung des TVs als „Imagebooster“ von Musikern, Künstlern und Modemachern. Die Zeitgeister des Pop wie Debbie Harry, Kenny Scharf oder Grace Jones hatten in den 80ern ihre medial wirksamen Auftritte und nutzen die Macht des TV. Zwischen der Absurdität des Gemachten, als Realität verkauft, und der Wirkungsintensität des Massenmediums, zwischen der ästhetischen Aufladung des Fernsehprogramms und der Erweiterung der Künste durch das Medium bewegt sich die Schau im MACBA. Die Beschäftigung der Ausstellungsmacher und Künstler mit der Beziehung zwischen TV und Fernsehkonsument, zeigt sich nicht nur anhand des Wiederabdrucks von Hans Magnus Enzensbergers „Nullmedium Oder Warum alle Klagen über das Fernsehen gegenstandslos sind“ (1988), sondern auch in den großen Videowalls: glatte, hochreflektierende Oberflächen, die an der Rückseite wie schnell aufgebaute Stellwände wirken. Durch die Spiegelung ist der Betrachter daher immer mit im Bild. Macht der Nutzer das Bild und/oder macht das Bild den Zuschauer? Den Betrachter im Bild spiegeln auch Peter Weibel „The endless sandwich“ (1972) oder Bill Viola in „Reverse Television Portraits of Viewers“ (1984), während „Television Delivers People“ (1973) von Richard Serra und Charlotte Fay Schoolman über die Beziehung zwischen Konsument, Werbung und TV als Kontrollorgan aufklären. Hier ist der Konsument „das Produkt des TV“. Die hölzernen Rückseiten der Stellwände verweisen hingegen auf das Requisitenhafte und den trügerischen Schein des Mediums. Dazu passend erklärt der Fernsehsprecher Richard Baker in „This is a Television Receiver“ (1976) von David Hall, dass nichts von dem, was man sieht, real sei, während gleich daneben Jan Dibbets „TV as Fireplace“ genau das zeigt, was es – wie nun gelernt – nicht ist, nämlich ein ewig loderndes Feuer. Eine Koje weiter wird der Fernsehapparat zu einer Zeit- und Raumkapsel und versetzt den Museumsbesucher in das Jahr 1977 nach Kassel zur documenta 7. Die Performances von Nam June Paik, Charlotte Moorman, Joseph Beuys und Douglas Davis wurden erstmals per Satellit in über 25 Länder live übertragen (damals „weltweit“!). Das babylonische Sprachwirrwarr, das dabei entstanden sein muss, kann jeder angesichts der unglaublich schlechten englischen Übersetzung und der vielstimmigen Videos rund um sich, nachspüren. Dennoch: „Die Überwindung der raumzeitlichen Bedingtheit durch das technische Medium“ (Hans Gottschalk) ist bis heute gewährleistet. Zappen bis die Füße weh tun: Ständig sich dessen bewusst zu sein, viele der insgesamt 145 Beiträge zu verpassen, gerade rechtzeitig zu einem Godard zu kommen oder Chomskys „Manufacturing Consent“ (1993) vielleicht nur mehr am Ende „erwischt“ zu haben. Das stresst! Die vom Kurator verortete, kritische Distanz dem Medium und seinen Inhalten gegenüber zeigt sich in der Bereitschaft zu zappen, d.h. weiterzugehen – oder den Ausstellungsbesuch ins Internet zu verlegen. Denn vorspulen geht im Fernsehen bekanntlich nicht!
Mehr Texte von Alexandra Matzner

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Are you ready for TV?
05.11.2010 - 24.04.2011

MACBA - Museu d’Art Contemporani de Barcelona
08001 Barcelona, Plaça dels Angels, 1
Tel: +34 93 412 08 10, Fax: +34 93 412 46 02
http://www.macba.cat/
Öffnungszeiten: Mo, Mi - Fr 11 - 20, Sa 10 - 20, So (ausgenommen Feiertage) 10 - 15 h, Dienstag geschlossen


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: