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CIGE 2011: Still. Schön. Erhaben.

Sie ist mit etwa 60 Ausstellern die kleinere der beiden Kunstmessen in Beijing, die China International Gallery Exposition (CIGE). Manche finden die konkurrierende von gut 100 Teilnehmern frequentierte Art Beijing (siehe eigener Bericht) bedeutender und besser. Von den Galerien in Beijing können sich einige daher nicht entscheiden oder wollen es gar nicht und nehmen daher an beiden Messen teil. Die CIGE kommt etwas leiser daher, gibt sich nicht als Gemischtwarenbazar. Natürlich ist gar manches für das europäische Auge ungewohnt, nach wie vor, aber, man kann es nicht oft genug betonen, deswegen ja nicht schlecht. Das konnte man etwa bei der Raab Gallery (China) sehen, wo die Koreanerin Eom Ok Kyung (20.000 bis 80.000 RMB) eine Solo-Präsentation genoss. Viele chinesische Künstler sind in der Tat in der Lage auch cutting-edge-Positionen einen dekorativen Aspekt abzugewinnen, und nur selten reicht das nicht darüber hinaus. Dass es jedoch auch qualitativ auf der CIGE „Schmuddelecken“ hat, ist selbstverständlich, denn die hat’s ja auch, horribile dictu, auf der Art Basel. Doppelaussteller ist etwa die Tina Keng Gallery (Taipeh, Beijing), die die CIGE mit einer Super-Installation dominierte: „Is it possible that they live together?“ heißt die 140x540x260 cm messende Arbeit von Wu Jiang (Varianten des Themas auch als Aquarelle und Öle vorhanden),die Sonnenblumen und Lotus auf überdimensionale und (unmögliche) gleiche Höhe bringt. Nein, sie werden nicht, denn die Sonnenblume (Helianthus) ist eine Land-, der Lotus (Nelumbo) eine krautige Wasserpflanze. Sie ähneln sich nicht einmal in Bezug auf Verzehrbarkeit, denn von der Sonnenblume ist man die Kerne, vom Lotus (echt lecker) nur die Frucht, ohne Kerne. Die Botschaft ist klar, das Werk hat etwas Utopisches, aber gehört sicher zu den eindrucksvollsten Installationen jüngeren Datums. Noch eine große Entdeckung: Yue Minjun. Wie? Das ist doch der Maler der pinkgesichtigen Grinsechinesen mit 64 Zähnen? Ja, aber er hat eine neue Werkserie aufgelegt. In Grisaille-Malerei, aber auch polychrom, setzt er sich unter dem Banner des Irrgartens (Maze) mit der Kunstentwicklung auseinander, arbeitet sich an der traditionellen Kunst Chinas ab. Vertreten wird er hier von der Pace Gallery (die im Kunstviertel 798 riesige Räumlichkeiten unterhält). Bei der auch schon lange in China tätigen italienischen Galerie Continua konnte man einen monumentalen Stern aus vergoldeten Polizeischlagstöcken bewundern. Das eindrucksvolle Werk („Stairway to Heaven“, 180x180 cm, 30.000 Euro) von Kendell Geers beherrschte optisch eine halbe Halle. Räumlich etwas beengt, aber dennoch wirkungsvoll kam die Installation von Chusak Srikwan daher. Seine riesigen Schattenspielfiguren, an der Tradition orientiert, diese aber zeitgenössisch transzendierend, waren das Glanzlicht der Galerie Tang Contemporary Art (Bangkok, Hongkong, Beijing). Alte Mythen werden heutzutage häufig in neue Tüten gepackt, und was dabei herauskommt ist oft überraschend. Bei Magician Space (Beijing; noch ein Doppelaussteller) zeigte das Künstlerpaar Pan Honggang (er) und Hu Youchen (sie) Figuren der Serie „Baby Elephant’s Tush“, natürlich erinnern diese eigenartigen Elefanten-Aliens an Ganeesha. Und dennoch sind sie neu und anders. Auch in 798, in der Galerie, waren die Werke zu sehen. Und bei der Nine Gallery (Gwangju, Korea), die auch die herzerwärmenden Meditationskästen mit der unnachahmlichen tief fühlenden asiatischen Pling-Plang-Musik von Lee Lee Nam anboten, konnte man ein weiteres Beispiel von Mythologietransformation bestaunen: Goh Geun Ho hat Figuren aus den Sagen und Erzählungen Chinas (die zumeist auch in anderen asiatischen Ländern bekannt sind) neu gestaltet. Es gibt vier ganz große klassische chinesische literarische Werke, im Westen meist unter ihrem englischen Titel bekannt: „A Dream of Red Mansions“ von Cao Xuequin, „Water Margin“ von Shi Naian, „Three Kingdoms“ von Luo Guanzhong und vor allem „Journey to the West“ von Wu Cheng’en, aus dem die Geschichten von Sun Wukong, dem Affenkönig (Monkey King), einer Art chinesischem Superman, stammen, die in vielen Produktionen der traditionellen chinesischen Oper szenisch umgesetzt werden. Go Geun Ho hat unter anderem Gestalten aus den „The Kingdoms“ zum Anlass genommen, fröhlich poppige Blechgestalten zu kreieren. Er befasst sich auf diese Weise aber ebenso sowohl mit Michael Jackson und Che Guevara … Man sieht in der zeitgenössischen chinesischen Kunst, auch in der, die weniger stark in den Westen exportiert wird, durchaus starke Auseinandersetzungen mit den Widrigkeiten des modernen Lebens, ohne dass dabei ins Banale abgeglitten wird. Beobachtung und Überwachung sind das Thema von Edison Chen (Etalier des Chene), der bei der ShanghART Gallery (Shanghai; Kooperation mit Madeln Company, Shanghai) groß auftrat. Seine Präsentation stand unter der Überschrift „Eye see you as I see you“. Chen war 2008 die Zentralfigur eines riesigen Skandals, da er (illegal) Fotos von sich beim Sex mit diversen Schauspielerinnen übers Internet verbreitet hatte, was der Karriere der Damen nicht besonders förderlich war. Ihm, so scheint’s, hat es nicht geschadet... Ebenfalls aus Shanghai (kulturell herrscht Erbfehde zwischen Beijing und Shanghai) kommt die Projektgruppe „Polite Sheer Form Office“ (Hong Hao, Xiao Yu, Song Dong, Lia Jianhua und Leng Lin), die in einem ausgehängten Manifest gegen inhaltsleeren Formalismus wettern, aus dessen Ästhetik man auf politische Degeneration schließen kann. Äh, ja, und so fort. Ihre Kunst hat ab und an etwas von Edward Hopper, aber, wie heißt es so schön im Chinesischen: Man muss auch schon mal drei She (45 km) zurückweichen, um dann doch zu siegen (Shanghai Gallery of Art). Sehr stark ist das Thema Biografie und Familiengeschichte, als Echo der Kulturrevolution, in der dergleichen verpönt war. So ist Li Tianbing („Dream of the Forest“, 120.000 Dollar, bei Pearl Lam’s „Contrasts Gallery“ aus Shanghai) auf der Suche nach Möglichkeiten der Rekonstruktion der eigenen Kindheit. Er platziert monumentale grüne oder blaue Babies in eine Landschaft. In einem „Spezial-Projekt“ (eher wie eine Sonderschau) der CIGE konnte man unter anderem Zhang Huans „Buddha Never Down“ sehen: Eine weiße männliche Figur in Bet-Haltung in einem weißen Kugelkäfig (211 cm im Durchmesser). Glaube kann Kraft geben. Bei Long March Space (Beijing; auch ein Doppelaussteller) konnte man Kunst sehen, die über vieles Übliche hinausgeht: Zhan Wangs „Artificial Rock“ (2006), ein glitzernder Felsbrocken aus Edelstahl. Still. Schön. Erhaben.
Mehr Texte von Gerhard Charles Rump †

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CIGE 2011
21 - 24.04.2011

CIGE
100004 Peking, China World Trade Center
http://www.cige-bj.com


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