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Performatives Dasein

Bildende KünstlerInnen gehen heute vermehrt wieder ins Theater und zahlreiche Bühneninszenierungen erobern gerade die Museen. Im Oktober 2010 überschneiden sich in Wien beispielsweise gleich drei solcher performativen Veranstaltungen: „Ganymed reloaded“ im Kunsthistorischen Museum, „Push an Pull“ im MUMOK und „Good Night & Good Luck“, die Tanz- und Performancenacht des brut Theaters und des Tanzquartiers. Doch was wird – gegenüber den stillen Bildern – auf den Bühnen so Einzigartiges geboten, welchen Gewinn erhofft man sich? Wurde das einstige Interesse der Kunst für ewige Werte und schriftliche Theorie tatsächlich abgelöst? Noch sind die 1990er Jahre ja gut in Erinnerung. Damals versuchten Künstler mit Derridas Schriften in der Hand ihre Kunst zu machen und Kunstkritiker mit Lacans Schriften die Kunstwerke ihrerseits zu erklären. Auf derartige Kurzschlüsse zwischen den Disziplinen Kunst und Philosophie richtete sich damals ein heftiges Begehren. Die Resultate waren jedoch meist kümmerlich und mittlerweile ist „Kunst als Theorieillustration“ wieder aus der Mode gekommen. Solch eine forcierte Koppelung von Kunst und (Philosophie-) Theorie taugt heute hingegen ganz hervorragend zur hysterischen Performance, zur in sich rotierenden Suade. Der deutsche Dramatiker und Regisseur René Pollesch nutzt derlei Rhetoriken in seinen Theaterstücken beispielsweise als Steilvorlagen für exaltierende Schauspielkunst. Da wird dann alles in Rotation gebracht, was an neuen Begriffen von angesagten Autoren gerade so kursiert. Aber das ist keine Theorierezeption, in der es um Begriffe ginge. Im Focus steht vielmehr eine umfassende Gestimmtheit, ausgelöst durch die Präsenz von sprechenden und handelnden Körper in Räumen. Da geht es um Gesten und Blicke, um Energie und Depression. Vorgestellt wird ein körperformendes, ein „performatives Denken“. Es ist ein Denken, dass sich nicht in Schriften festsetzt, sondern durch Menschen, Bühnenbilder und haptische Settings hindurchfließt. Solches performative Denken hat zwar eigentlich auf dem Theater seinen angestammten Platz, es spielt aber auch im Bereich der bildenden Kunst seit längerem eine zunehmende Rolle: Man denke nur an die Bedeutung der räumlichen Inszenierungen in den traditionelle Museumsbauten, an ihre „erhebenden“ Treppenhäuser und ihre zum Schreiten verleitenden Enfiladen. Für die heutige Praxis spricht Heimo Zobernig analog vom „Drama Display“. Künstler wie Marko Lulic oder Cathrin Bolt wiederum „reinszenieren“ seit längerem die herumstehenden Skulpturen anderer Künstler durch schieren Körpereinsatz. Da wird die Stahlskulptur zur Tanzperformance, oder die Steinfigur wird geküsst und unsittlich angefasst. Dass nun auch im Kunsthistorischen Museum bei „Ganymed Reloaded“ die alten Leinwandbilder real zum Sprechen gebracht werden, liegt insofern im Trend. Ebenso die Wiederentdeckung der Performance-Bewegung der 1960er Jahre („Push an Pull“ im MUMOK) oder der Umstand, dass Akademiestudenten einen Großteil der Besucher bei „Good Night & Good Luck“ ausmachten. Als bemerkenswert finde ich dabei vor allem, wie wichtig die Präsenz des vergänglichen Moments genommen wird. Da scheint sich tatsächlich eine Verschiebung zur früheren Theoriesehnsucht abzuzeichnen. Theorie, das versprach ja immer etwas Festes und Bleibendes zu sein, zumindest jedenfalls klare Begriffe in die Hand zu geben. Vielleicht ist diese Illusion in unserer beschleunigten Zeit aber zu durchsichtig geworden und man versichert sich lieber dessen, was gewiss nicht bleibt, und feiert die kurzen Momente der Begegnung, das Flackern des Begehrens, die Windungen eines Körpers oder den Affekt eines sprechenden Schauspielers. Das ist zwar paradox aber sehr lebendig.
Mehr Texte von Vitus Weh

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