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Ugo Rondinone. Die Nacht aus Blei: Traumwandlerische Melancholie

Zwischen unzähligen weissen Mauerquadern verborgen, ist es gegenwärtig nicht ganz einfach, den Eingang zum Aargauer Kunsthaus Aarau zu finden. Die Verwandlung der sonst so offenen Eingangshalle des Museums in eine abgeschottete Trutzburg geschieht über eine auf die Glasfront gemalte Installation von Ugo Rondinone. Ganz im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen, so Direktorin Madeleine Schuppli, die in den 1990er Jahren für Offenheit und Vermischung von Kunst und Alltag plädierten, trat Rondinone stets anachronistisch für den geschützten, abgeschlossenen Raum als ideales Umfeld für Kunst ein. Mit einer gemeinsamen Installation in der Kirche San Staë vertraten Ugo Rondinone und Urs Fischer die Schweiz an der Biennale Venedig 2007. Abgüsse von knorrigen Olivenbäumen streckten damals ihre von Wind und Wetter gebeutelten schiefen Äste gen Himmel, angenagt vom Zahn der Zeit und doch von jeglicher Patina befreit durch eine klassisch weisse Oberfläche. Einer der Bäume ist nun in Aarau zu sehen, empfängt die Besucher im ersten Ausstellungssaal, trägt die Natur ins Museum und ist dennoch ihr Gegenteil, pure Künstlichkeit. In seiner süditalienischen Heimat hat Rondinone die Vorbilder für seine Abgüsse gefunden und transferiert sie Pore für Pore detailgetreu in den Innenraum, als perfekte Imitation und Verdoppelung der lebenden Materie, die jedoch durch die weisse Farbe geisterhaft entrückt, gewissermassen entwurzelt und vom Raum-Zeit-Gefüge als blosse Erinnerung abgekoppelt scheint. Die Hand des Künstlers, Schöpfer dieser phantastischen Welten, prangt gleichsam als Negativform zur dreidimensionalen, symbolträchtigen Baumskulptur als Abdruck in der Wand des musealen White Cube. Als feines Flechtwerk verästeln sich die individuellen Lebenslinien so wie Rinde und Jahresringe dem Baum eine Geschichte einschreiben. Dem Künstler stand es weitgehend frei, die grosszügigen Räumlichkeiten des Kunsthauses mit Werkassemblagen als Gesamtinstallationen zu bestücken. Entstanden sind luftige, atmosphärische Ruheräume mit sinnreicher Farbambiance, in die es sich eintauchen lässt, doch stets beschleicht einen die Sorge, die fragilen Stimmungen durch blosse Anwesenheit aus dem Gleichgewicht zu bringen. Von melancholischem Duktus getragen begibt sich Rondinone mittels seiner Werke voller kultischer Referenzen auf eine spirituelle Sinnsuche, die auf eine geradezu mystische Kraft der Kunst jenseits aller Zeitlichkeit setzt. Oft geht die optische Wirkung Hand in Hand mit taktiler Sinnlichkeit und wortreicher Poesie. Stets irritieren Brüche im scheinbar so Vertrauten, etwa, wenn eine riesige weisse Glühbirne aus Wachs zwar hell ist, aber trotzdem nicht leuchtet oder wenn Schneeflocken leise von der Museumsdecke rieseln, die dann als weisse Konfetti den Innenraum bedecken. Haben die lichten Räume im Erdgeschoss des Museums eine geradezu einlullend-betörende Wirkung, eröffnet sich im Untergeschoss als Gegenpart die dunkle, abweisende Seite von Rondinones Kunstuniversum. Als wollte sie doch noch Licht ins hoffnungslose Dunkel bringen, taucht die überdimensionale Glühbirne wieder auf. Völlig schwarz, mehr als erloschen, baumelt sie nun von der Decke wie ein ‚fait accompli’: Erleuchtung gibt es anderswo.
Mehr Texte von Sylvia Mutti †

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Ugo Rondinone. Die Nacht aus Blei
13.05 - 01.08.2010

Aargauer Kunsthaus
5001 Aarau, Aargauerplatz
Tel: +41 62 835 23 30, Fax: +41 62 835 23 29
http://www.aargauerkunsthaus.ch
Öffnungszeiten: Di - So 10:00 - 17:00, Do 10:00 - 20:00


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