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Fiona Tan - Rise and Fall: Im Kokon der Erinnerung

Mit ihrem viel beachteten Beitrag im holländischen Pavillon an der Biennale Venedig 2009 hat die heute 44-jährige Fiona Tan eine Oase der Ruhe für ermüdete Beine und ermattete Augen geschaffen. Nun zeigt das Aargauer Kunsthaus Aarau erstmals eine umfassende Übersicht ihrer neusten Videos, Fotografien und Zeichnungen in der Schweiz. Die geradezu meditative Stille ist es auch, welche die unaufgeregten Arbeiten voller Poesie in der Aarauer Ausstellung eint. Doch man täusche sich nicht: Es sind gerade die Schnittstellen und Brüche, die in Fiona Tans ruhig dahinplätschernden Filmen die Aufmerksamkeit fesseln, wenn Bild- und Textebene das Raum-Zeit-Kontinuum aufreiben und es entgegen den Gewohnheiten neu definieren.

Angesichts der Videoarbeit „A Lapse of Memory“ (2007), wähnt man sich im Inneren eines Traumes angekommen. Aus dem Off spricht die Künstlerin Regieanweisungen, während ein dementer Greis seinem Tagesablauf mit sinnfreien Handlungen eine Struktur zu geben versucht. Das von grossen, vergangenen Zeiten zeugende Anwesen, in dem der alte Mann alleine und ohne Möbel haust, wird zum schützenden Kokon der fragilen Figur, gerät aber mit seinen endlosen Zimmerreihen und Wendeltreppen zur Metapher eines Gefängnisses der Erinnerung, die sich mit jeder ins Schloss fallenden Türe unwiederbringlich auslöscht. So schlurft der Mann wie ein Fremder in der musealen Ruine seines Lebens vorwärts aber doch nur im Kreis, während Bild und Text eine hybride Persönlichkeit zwischen Realität und Fiktion konstruieren, in der er sich zu verlieren, ja aufzulösen droht.

Die Frage nach Herkunft und Identität zieht sich wie ein roter Faden durch die bildgewaltige Präsentation der in Indonesien geborenen Künstlerin mit chinesischen und australischen Wurzeln. Unter dem Titel „Projection“ (2009) zeigt sie in Aarau erstmals ein Selbstporträt, das im sinnigen Titel das Andere im Ich bereits anklingen lässt. Ihre Ganzkörperfigur tritt auf einer frei im Raum hängenden, von beiden Seiten her zugänglichen Fläche in Erscheinung. Wie vom Winde bewegt, verflüssigt sich das mehransichtige Bildnis in sanften Wellen und konstituiert sich ohne feste Konturen immer neu als bewegliches Werden und Vergehen. Allgegenwärtig ist das Motiv des Wassers, das in mehreren Arbeiten mal als sanft wogende Meereswellen, mal als spiegelnde Fläche, Zeitlichkeit in Fluss und Stillstand erfahrbar macht. Wenn es gar im freien Fall tosend über eine Klippe stürzt, kommt es durch die sich immer an gleicher Stelle formierenden Wirbel zu einem spannungsvollen Effekt der Zeitlupe bei gleichzeitiger Beschleunigung. Mehr noch: In der ewigen Wiederkehr des Gleichen wird das Vorwärtsdrängen der Bilder durch die Statik der Kamera und des Betrachterauges im Paradox eines laufenden Standbildes festgehalten. In der gattungsübergreifenden Wirkung ihrer Videos wird Fiona Tans Ausbildung in Medienkunst und Malerei an der Gerrit Rietveld Academie und der Rijksakademie van Beeldende Kunsten in Amsterdam immer wieder spürbar, so etwa bei der sechsteiligen Serie „Provenance“ (2008), wo mit den Mitteln des Videos regelrechte Gemälde geschaffen werden. In subtile Vermeer’sche Lichtführung getaucht, zeigen die kleinformatigen schwarz-weiss Ansichten stilles Leben im Alltag, wobei die langsame Kameraführung den intimen Blick auf die präzise in Szene gesetzten Protagonisten unterstützt.

Besonders lobend herauszuheben, ist die umsichtige Einrichtung der Ausstellung, die sowohl der inhaltlichen Abfolge und den Bezügen zwischen den Werken, wie auch den technischen Gegebenheiten der in ihrer Projektionsart äusserst vielfältigen Videoarbeiten Rechnung trägt. In Zusammenarbeit mit der Künstlerin hat das Aargauer Kunsthaus Aarau den White Cube seines Ausstellungstraktes mit zahlreichen Black Boxes durchsetzt, die bis in ihre austarierten Dimensionen vom Kabinett bis hin zum Kinosaal den Werken einen optimalen Rahmen bieten, so dass diese ihre Stimmungen mit grösstmöglichem Nachdruck entfalten können.

Mehr Texte von Sylvia Mutti †

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Fiona Tan - Rise and Fall
30.01 - 18.04.2010

Aargauer Kunsthaus
5001 Aarau, Aargauerplatz
Tel: +41 62 835 23 30, Fax: +41 62 835 23 29
http://www.aargauerkunsthaus.ch
Öffnungszeiten: Di - So 10:00 - 17:00, Do 10:00 - 20:00


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