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elles@centrepompidou: Ladies first

Jacqueline Pollock, Joséphine Beuys, La Corbusier oder gar Miss van der Rohe: Wie hätte sich die Kunst wohl entwickelt, wären die führenden Köpfe den Schultern eines weiblichen Körpers entwachsen? Hätten sie überhaupt die höheren Weihen der Kunstgeschichte erfahren? Die augenfällige Installation der Französin Agnès Thurnauer mit den klingenden Namen geschrieben auf überdimensionale, farbige Buttons geleitet die Betrachter an die Schwelle zu den neu konzipierten Sammlungsräumen des Centre Pompidou in Paris: Für die Dauer von fünfzehn Monaten wurde ein komplettes Stockwerk leer geräumt und mit Exponaten von ausschliesslich weiblichen Kunstschaffenden aus der hauseigenen Sammlung bestückt. Die aussergewöhnliche Schau elles@centrepompidou vereint in einem chronologischen wie auch thematischen Rundgang etwa fünfhundert Arbeiten von über zweihundert Künstlerinnen vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute – ein vibrierendes Konglomerat unterschiedlichster künstlerischer Ausdrucksweisen, ein schier unüberblickbares, buntes Sammelsurium von Interessen und Positionen. So löblich die Absichten, dem weiblichen Kunstschaffen einen Raum zu geben auch sein mögen, kann man sich dennoch des Eindrucks nicht erwehren, dass Künstlerinnen auch primär feminin geprägte Kunst schaffen würden, eine nicht gerade aktuelle Lesart, die vom Hängungskonzept begünstigt wird, gerät die Kunst doch gleich zu Beginn des Rundgangs ins Visier feministischer Aktionskunst. Ein Schiessbild von Nikki de Sain Phalle aus dem Jahre 1961 erinnert an ihr gewaltsames Eindringen in die männlich geprägte Domäne des Action painting und wenn Orlan im Verlauf der 1970er Jahre in ihren Performances „MesuRages“ mit ihrem Körper in erniedrigender Pose auf allen Vieren Ausstellungsinstitutionen und Strassen, die den Namen berühmter Männer tragen, durchmass, offenbaren sich die gesellschaftlichen Leitplanken und Zwänge, denen weibliche Kunstschaffende ausgesetzt waren und es teilweise immer noch sind. In den neu aufkommenden, von männlicher Dominanz weitgehend unbelasteten Medien Video und Fotografie, gelang es Künstlerinnen, sich ein experimentelles Spielfeld zu erschliessen – paradoxerweise wiederum zur Inszenierung des nackten weiblichen Körpers, dies allerdings als Selbstbetrachtung und Befreiung von Konformität. Zahlreiche Schlüsselwerke der feministisch geprägten Kunst in der Ausstellung zeugen zwar von der weitsichtigen Sammlungspolitik des Hauses, sensibilisieren den Betrachterblick aber insbesondere auf dieses Problemfeld, so dass sich die Stärke der Werke als Schwäche des Ausstellungskonzepts entpuppt, in dem die leiseren Töne jenseits der Frauen-Thematik beinahe unterzugehen drohen. Bereits 1975 hat Meret Oppenheim einen Artikel mit dem Titel „Es gibt keine weibliche Kunst“ verfasst. Eine Schau wie diese, festigt aber gerade die Vorstellung femininen Kunstschaffens als eine Eigenart, die es auch entsprechend mit einer Sonderpräsentation herauszustreichen gilt. Dabei macht elles@centrepompidou schlicht und einfach Lust, im ausufernden Kunstkosmos auf Entdeckungsreise zu gehen und überraschenden Gegenüberstellungen zu begegnen. Es treffen beispielsweise grossformatige Stadtfotografien der Japanerin Mariko Mori auf eine albtraumhaft verstörende Zimmerinstallation von Dorothea Tanning, während die zurückhaltenden in Bild und Text gefassten Geschichten einer Sophie Calle intime Einblicke in Gefühlswelten ermöglichen. Dass aber feministische Themen auch heute noch von bestechender Aktualität sein können, beweist die umwerfend ironische Videoarbeit „Me, 1997-2000“ der Iranerin Ghazel. Zwischen Tragik und Humor demonstriert eine mit Burka bekleidete, stumme Frau ihre Zerrissenheit zwischen den Kulturen und erstrebenswerten Ziele. Den Traum, die Welt zu umrunden erreicht sie, indem sie um einen Globus herumgeht, die Freude darüber, dass ihr umständliches Gewand sie immerhin nicht am Skifahren hindern kann, kippt sogleich in Amusement gepaart mit Entsetzen wenn ihr bei einem Sturz zwei Maschinengewehre in den Schnee fallen. Sollte weibliches Kunstschaffen in der westlichen Hemisphäre heute eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, so gelten die Errungenschaften früherer Generationen nicht in allen Teilen der Welt. Doch man bedenke: Eine im Jahr 2006 von der „Abteilung Kulturelles der Stadt Bern“ gemeinsam mit der „Fachstelle für die Gleichstellung von Mann und Frau der Stadt Bern“ publizierte Schweizer Studie brachte zu Tage, dass die Förderbeiträge für bildende Kunst im Zeitraum von 1994 bis 2003 zu 27% Frauen zugesprochen wurden. Diese Tatsache schreit nach dem Gebrüll der Guerilla Girls. Die mit Gorillamasken getarnte, anonyme Aktivistinnengruppe erörterte 1988 mit spitzer Feder anlässlich eines ihrer Plakat-Projekte: “The advantages of being a woman artist: Working without the pressure of success.”
Mehr Texte von Sylvia Mutti †

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elles@centrepompidou
27.05.2009 - 24.05.2010

Centre Pompidou
75191 Paris, Paris cedex 04
Tel: +33 (1) 44 78 12 33
http://www.centrepompidou.fr
Öffnungszeiten: täglich von 11.00 bis 21.00 Uhr


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