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Memorizer - Der Sammler Andreas Züst: Kunst und Wunderkammer

Als „Memorizer“, „Erinnerungsmacher“ bezeichnete der deutsche Schriftsteller Thomas Kling den Schweizer Sammler und Künstler Andreas Züst (1947-2000). Mit diesem Terminus aus der Ethnographie wird ein Mensch bezeichnet, der die Geschichte eines Clans im Gedächtnis behält; ein treffender Ausdruck für den Tausendsassa, der seit den späten 1970er Jahren die Zürcher Kunst- und Kulturszene mitsamt ihren weit verzweigten Verbindungen als Fotograf dokumentierte und sich im Verlauf der Zeit eine Sammlung von über 1.500 Kunstwerken und Objekten anlegte. Im Jahre 2004 ging diese als Dauerleihgabe an das Aargauer Kunsthaus Aarau über, wo nun ein Bruchteil davon erstmals in der umfassenden Ausstellung „Memorizer“ öffentlich zu sehen ist. Doch wird hier der Fokus nicht nur auf die Kunst gelegt, vielmehr widmet sich die Ausstellung auch Züsts gesellschaftlichem Netzwerk und möchte die kulturgeschichtliche Dimension aufzeigen, beispielsweise wenn die Sammlungspräsentation immer wieder von puzzleartig angeordneten schwarz-weiss Fotografien des Sammlers durchbrochen wird. Züsts Aufnahmen zeigen Dutzende Porträts von Kunst- und Kulturschaffenden seiner Generation. Die zwanglosen Bilder sind frei von Inszenierung und bieten oft Einblick in private Momente einer ausgelassenen Bohème, so etwa wenn Manon mit ihrem Hund schmust oder Jean-Frédéric Schnyder mit einbandagiertem Fuss und zwei Flaschen Bier auf einer Parkbank rastet. Der gesellige Nachtschwärmer und Lebemann sei ein klassischer Sammler und ausgeprägter Augenmensch gewesen, der in ein geradezu körperliches Vibrieren geriet, sobald ihn ein Objekt ansprach, das er in der Folge unbedingt haben musste. Dass eine derart zusammengetragene, disparate Sammlung ein klares Konzept vermissen lässt, ist klar. Dennoch gelingt es der Ausstellung, in drei Teilen ein Ordnungsgefüge herzustellen: Der „innere Kreis“ zeigt Werke von Kunstschaffenden aus Züsts persönlichem Umfeld und legt einen Schwerpunkt auf Lieblingskünstler wie Friedrich Kuhn oder Dieter Roth; im grafischen Kabinett sind Zeichnungen und Arbeiten auf Papier zu sehen, etwa von Adolf Wölfli, Louis Soutter, Markus Raetz oder Sigmar Polke, während sich der „äussere Kreis“ der Sammlung thematisch zu nähern versucht. Dort finden sich neben zahllosen Werken von Schweizer Kunstschaffenden auch Arbeiten von international bekannten Grössen wie beispielsweise Nan Goldin oder Boris Mikhailov. Nicht zuletzt wird auch Züsts naturwissenschaftlichem Interesse Rechnung getragen. Vom Sammeln, Ordnen und Klassifizieren sprechen zwei besonders hübsche Arbeiten: Aus getrockneten Blüten, Blättern und Gräsern hat Olivia Etter filigrane Fantasie-Insekten von verletzlicher Schönheit kreiert. Die sogenannten „Etterlinge“ (1995) sind fein säuberlich in einem Guckkasten präsentiert wie auch die Objekte „Aus der Serie der Schmetterlingssammlung“ (1987) von Marcel Biefer und Beat Zgraggen, nur dass die fein säuberlich nach Grösse und Farbe getrennten und mit Stecknadeln befestigten Exponate nichts als wertlose Plastikfetzten darstellen. Als wirkungsvoller Kontrast dazu ragt in der Züstschen Kunst- und Wunderkammer ein rund zwei Meter langer Zahn eines Narwals in den Raum, so dass sich die Frage, was denn bizarrer anmutet, Kunst oder Natur, nicht eindeutig beantworten lässt.
Mehr Texte von Sylvia Mutti †

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Memorizer - Der Sammler Andreas Züst
29.05 - 09.08.2009

Aargauer Kunsthaus
5001 Aarau, Aargauerplatz
Tel: +41 62 835 23 30, Fax: +41 62 835 23 29
http://www.aargauerkunsthaus.ch
Öffnungszeiten: Di - So 10:00 - 17:00, Do 10:00 - 20:00


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