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Kult des Künstlers: "Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden". Dekonstruktionen des Künstlermythos. : Den Reigen brechen

Im Reigen von insgesamt zehn Ausstellungen der Staatlichen Museen zu Berlin markiert der eingängige Slogan „Kult des Künstlers“ das Ende der Amtszeit ihres Generaldirektors Peter Klaus Schuster. Aus diesem Anlass zeigt der Hamburger Bahnhof Berlin neben einer großen Beuys-Retrospektive und einer aus Sammlungsbeständen inszenierten Andy Warhol-Show eine weitere Ausstellung zu diesem Thema in den Rieckhallen. Hauptsächlich mit Werken aus der Sammlung Friedrich Christian Flick, Erich Marx und Egidio Marzona bespielt, fungiert die Gruppenausstellung als notwendiger Bruch mit den Mythen. Dementsprechend griffen die Ausstellungsmacher auf einen schmissigen Werktitel von Martin Kippenberger zurück. Im Hinblick auf die als Abschiedsvorstellung inszenierten Schauen könnte dieser auch eine Erfindung der Kuratorinnen sein: „Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden“. Der Titel umkreist die tragische Kehrseite des Künstlerkultes: den immerwährenden Druck Neues zu produzieren und dabei geistreich und ästhetisch innovativ zu sein. Unterschiedliche Konzepte vertiefen dieses Phänomen. Marcel Duchamps Readymade Porte-bouteilles von 1914 bildet den Ausgangspunkt. Die Benennung und Ausstellung eines handelsüblichen Flaschentrockners kennzeichnet eine folgenreiche Geste, welche die künstlerischen Handlung über die Bedeutung des Objekts stellte. Die kultische Verehrung und Fetischisierung des Kunstobjekts wurden befragt; dieser Akt ließ den Künstler indessen als Genie neu aufleben. Innerhalb eines weiten Spektrums zwischen Parodie und Ernsthaftigkeit nimmt Duchamps Vorgehen in verschiedenen Themenbereichen der Ausstellung Gestalt an: Marcel Broodthaers lässt sich beim Signieren filmen, ohne dass man seine Hand sieht, Bruce Naumans Namen leuchtet verzerrt in einer Neonschrift von der Wand und Martin Kippenberger überlässt seinem Assistenten die Ausführung von Heavy Burschi (1989-91). Damit sind die Mythen der individuellen Schöpfung des Künstlers oder der alleinigen Autorschaft demontiert. Im Gegensatz zu den anderen Ausstellungen in den staatlichen Museen zu Berlin kommen die Frauen ebenso zum Zug. Meist konterkarieren sie das männliche Künstlergenie, dessen Prototyp in Paul McCarthys phallischer Parodie von Jackson Pollock mit Penis Dip Painting (1974) präsentiert wird. Cindy Shermans Rollenspiele, Posen und Maskeraden werden Rodney Grahams Figuren in einem Raum gegenübergestellt. Die Explorationen zur weiblichen Identität setzen sich fort in Valie Exports Aktionshose oder führen zurück zu einem stereotypen Weiblichkeitsbild in Pipilotti Rists Videoarbeit. Nach einer beachtlichen Anzahl etablierter Positionen, gelangt man im hintersten Teil der Riekhallen in eine Sackgasse: Where Do We Go From Here? fragt Ugo Rondinone mit Videoprojektionen von vier herumliegenden Clowns. Dieser Kommentar, eingebettet in die Ambivalenz von verlachter Künstlerfigur und der Ermüdung, das Publikum zu unterhalten, gibt zu Denken. Der lange Weg zurück in die Haupthalle ist gesäumt von 70 Bildträgern, deren Anfertigung Maria Eichhorn Anderen überlassen hat. Auch sie weiß, wie über die Demontage von Mythen Künstlerfiguren erst richtig geschaffen werden. So gesehen ist die Ausstellung ferner eine Ansammlung hoch dotierter Werke aus dem Kunstbetrieb. Und die Sammler wissen, dass diese Stücke in ihren Beständen nicht fehlen dürfen.
Mehr Texte von Marianne Wagner

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Kult des Künstlers: "Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden". Dekonstruktionen des Künstlermythos.
03.10.2008 - 23.02.2009

Hamburger Bahnhof - Nationalgalerie der Gegenwart
10557 Berlin, Invalidenstraße 50- 51
Tel: +49 30 266424242
http://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/hamburger-bahnhof/home.html
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr10-18, Do 10-20, Sa, So 11-18 h


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