Werbung
,

Dokumentaristinnen: Amazonen der Fotografie

Für diese Ausstellung hat man viele Archive öffnen müssen. Herausgekommen ist ein sorgfältiger Überblick über die polnische Dokumentarfotografie von Frauen – ein bisher von Kuratoren vernachlässigter Bereich der nicht nur kunstwissenschaftliche Lücken schließt sondern auch einen interessanten historischen Überblick über den polnischen Alltag der letzten 80 Jahre zeigt. Die junge Kuratorin Karolina Lewandowka stellt mehr als 50 polnische Fotografinnen vor, die sich seit den 20er Jahren mit dem Genre beschäftigt haben. Dabei sind, entgegen der gängigen Klischees, keine großen Namen zu finden. Die meisten der vorgestellten Fotografinnen wurden erst für die Ausstellung entdeckt. Der Aspekt der weiblichen Urheberschaft scheint auch einleuchtend begründet zu sein, denn vor allem in Polen hatte die Frau als Produzentin/Fotografin eine schwierige Hürde zu überwinden. Vor dem Hintergrund der Familie, welche oft die erste Rolle spielte, jonglierten fast alle in der Ausstellung vorgestellten Dokumentarfotografinnen der frühen 50er Jahre zwischen ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau und dem Beruf. Erfolgreich wehren sie sich gegen patriarchalische Zuschreibungen der Frau. Dass die Schau nicht als eine auf weibliche Produktion reduzierte Zusammenstellung von Frauenfotografie begriffen werden kann, ist vor allem den Arbeiten selbst zu verdanken. Da ist zum Beispiel Zofia Chometowska, geboren im Jahre 1902. Die Fotografin fertigte unzählige Reihen von Dokumentationen an, indem sie den Wiederaufbau Warschaus nach dem Krieg porträtierte. Statt die Ruinen und die Zerstörung abzubilden, konzentrierte sie sich vielmehr auf die Wiederbelebung der Hauptstadt. Wir sehen, wie sich die BewohnerInnen nach dem Krieg in Warschau organisieren, die ersten Geschäfte wieder eröffnen, die Menschen Bars besuchen. Diesen Blickwinkel dürfte man in Katalogen zur Stadtgeschichte vergeblich suchen. Eine der ersten Vertreterinnen der Dokumentarfotografie Polens ist wohl Maria Czaplicka. Fotografisch untersuchte sie bereits in den Jahren 1916 bis 1918 die sibirische Gesellschaft. Als zweite Anthropologin mit Doktortitel in Europa glich ihr Eifer einem Walker Evans, der einige Jahre später ebenso als Dokumentarfotograf die Armut der Landarbeiter zur Zeit der grossen Depression in den USA dokumentiert hat. Maria Czaplickas soziologische Bildaufzeichnungen sind keine Bebilderungen tagesaktueller Ereignisse. Als zwischen künstlerischem Anspruch und Fotojournalismus hergestellte Chroniken der damaligen Zeitgeschichte, zeigen sie bereits erste konzeptuelle Ansätze der Fotografie. Außer den Fotografinnen der ersten Stunde gibt es auch Dokumentarfotos der 70er und 80er Jahre sowie auch Bilder aus der heutigen Zeit in Polen. Das „Zorka Projekt“ ist beispielsweise jüngeren Datums und untersucht männliche Körperlichkeit. Männer unterschiedlichen Milieus und Alters ließen ihren Körper von der Fotografin abbilden und zwar so, wie sie sich selbst gern sehen. Die Ergebnisse schwanken zwischen Schüchternheit, Unbeholfenheit aber auch dem stolzen Vorzeigen ihrer Muskeln. Der typisch weibliche Blick scheint bei der Schau entscheidend, denn die meisten Frauen haben Bereiche dokumentiert die durch die patriarchalisch geprägte Gesellschaft Polens unzugänglich und weniger interessant waren. Vor allem haben sie sich in einer katholisch geprägten Gesellschaft traditioneller Werte behaupten müssen. Oft nicht ernst genommen, und manchmal gar vom eigenen Mann an ihrer Arbeit gehindert, haben sie trotzdem weiter gemacht und wurden zu Chronistinnen der Zeitgeschichte. So ist die Ausstellung Dokumentaristinnen „eine Art Erzählung von der Welt“ und zwar einer, die es so nicht mehr geben wird.
Mehr Texte von Berenika Partum

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Dokumentaristinnen
17.03 - 18.05.2008

Zacheta Narodowa Galeria Sztuki
00-916 Warszawa, pl. Malachowskiego 3
Tel: +48 22 827 58 54, Fax: +48 22 827 78 86
http://www.zacheta.art.pl


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: