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Am Filmhimmel werden Opfer Sterne

Auch dieses Jahr wieder dominierten den Wettbewerb Filme über Kriege, Krisen und private Dramen: Hier der Zweite Weltkrieg in Polen und Japan, da der Nahostkonflikt, dort Kindersoldaten in Eritrea, der Abu Ghraib-Folterfotoskandal, Elite-Polizeiarbeit in den schlimmsten Vierteln von Rio de Janeiro, Kindesentführungen, -missbrauch und -mord, Beziehungsdramen oder einfach nur der alltägliche Ballast. Das krasseste Beispiel: die von Regiealtmeister Andrzej Wajda völlig kunstfrei in Szene gesetzte Fiktionalisierung "Katyn" des bis vor wenigen Jahren geleugneten, im Frühjahr 1940 durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD verübten Massakers an 20.000 gefangenen polnischen Offizieren. Hier ist die schiere Tatsache, dass durch die Darstellung diese Toten endlich zu ihrem Recht der Anerkennung des an ihnen begangenen Verbrechens kamen, bereits genug Rechtfertigung für die Existenz dieses Films. Der Höhepunkt sind die gezeigten Morde - nach SS-Vorbild - durch Schüsse in den Hinterkopf: Eine Erlösung für die Hinterblienen, sehen zu können, was so lange ausgeblendet worden war. So wichtig diese erste Kinoaufarbeitung eines Nationaltraumas für die Polen sein mag, so traurig ist das Faktum, dass eines der weltweit wichtigsten Filmfestivals von Jahr zu Jahr mehr auf Inhalte setzt statt auf Qualität. Das enttäuschende Fazit des diesjährigen Wettbewerbs: Es gab keinen besten Film. Statt dessen gab es Skandale wie jenen um Luigi Falornis auch von Österreich mitproduzierte Verfilmung "Feuerherz", der Autobiographie der Musikerin und angeblichen früheren Kindersoldatin Senait Mehari, die vorwiegend nach der Frage der Authentizität der Buchvorlage bewertet wurde und im gegebenen Zweifelsfall einhellig durchfiel. Nur nebenbei braucht erwähnt zu werden, dass der Erzählung aus der naiven Perspektive eines Kindes Entscheidendes an Prägnanz abging. Andererseits gab es ein Stelldichein der Megastars. Die Auftritte der Rolling Stones und Madonnas, die jeweils mit neuen Filmen da waren - die Stones mit einem von Martin Scorsese dirigierten Konzertfilm ("Shine a Light") und Madonna mit ihrem von der Kritik pflichtschuldigst geprügelten, aber trotzdem recht heiteren Regiedebüt "Filth and Wisdom" - gaben zu verstehen, dass es in Berlin nicht ausreicht, bloß Filmstars auf den roten Teppich zu bringen. Innerhalb dieser Schere aus Betroffenheit und Glamour kam die Kunst eindeutig zu kurz, auch wenn mit "There Will Be Blood", dem Kritikerfavoriten bis zum Schluss, eine Art Neunzigprozentmeisterwerk im Rennen war und sich Mike Leigh mit der gelungenen Feel Good-Komödie "Happy-Go-Lucky" wärmstens empfahl. Wie meistens ignorierte die Jury die Vorlieben der Kritik und kürte einen Außenseiter zum besten Film, den allerdings schon allein wegen seiner entlarvenden Ignoranz gegenüber politischer Korrektheit in der Darstellung von Polizeigewalt preiswürdigen, aber auch gerade deshalb von vielen missverstandenen brasilianischen Cop-Thriller "Tropa de Elite" (Elite Squad) von José Padilha. Weniger originell war die Vergabe des Silbernen Bären an "Standard Operating Procedure", die erste Dokumentation in der Geschichte des Berlinale-Wettbewerbs. Errol Morris ging darin der Frage nach, was von den auf den um die Welt gegangenen Folterfotos aus Abu Ghraib gezeigten Gräuel zum Standardverhörverfahren der US-Streitkräfte gehört und was der sadistischen Eigeninitiative des zuständigen Personals zuzuschreiben ist. Leider muss dem Filmemacher selbst einige Unsauberkeit in der Machart vorgeworfen werden: Nachgestellte Folterszenen und dramatische Musik wirken bei diesem Thema deplaziert. Doch zum Glück gab es auch Filme, die im Wettbewerb außer Konkurrenz liefen, wie die beiden charmanten Werke von Johnny To (ganz untypisch verspielt: "Man Jeuk" - Sparrow) und Michel Gondry (verspielt wie immer: "Be Kind Rewind") und die Sektionen Forum und Panorama. Zu den bei der Kritik besonders beliebten Filmen gehörte die sehr zurückhaltend inszenierte, psychologische Provinzrachegeschichte "Revanche" des Wieners Götz Spielmann. Das Gangsterdrama "Chico" unter der Regie von Özgür Yildrim und mitproduziert von Fatih Akin überraschte mit einer erfrischenden Scorsese-Hommage aus Hamburg. Das englische Drama "Boy A" von John Crowley über das Scheitern der Resozialisierung eines jugendlichen Mörders hätte man sich problemlos im Wettbewerb vorstellen können. Ebenso die Spieldokumentation "United Red Army" von Wakamatsu Kôji. Der japanische Altmeister schildert darin nach einem einleitenden Dokumentationsteil über die Geschichte des linken Terrors in Japan das quälende Scheitern der revolutionären Utopie. Ein anderes Highlight des Forums war eine subtile Dokumentation von Li Ying über die Kontroverse um den der Heldenverehrung gewidmeten, auf verschiedenen Ebenen problematischen japanischen Yasukuni-Schrein. Zum Lustigsten im Panorama gehörte der trashige Spielfilm "Otto; or, Up with Dead People" von Bruce LaBruce, dessen schwules Personal unter der Leitung des untoten Fritz in einem von der resoluten Filmregisseurin Medea geleiteten politischen Zombieporno spielt. Lautstark verkündet sie ihre Botschaft von der Erneuerung der Welt durch den Guerilla-Zombie, während ihre melancholische Nebenfigur Otto ohne Erinnerung und freudlos durch Berlin wankt und seine Gier nach frischem Fleisch möglichst nicht an Menschen stillt. Bruce LaBruces Witz ist nie bösartig, aber entlarvend genug, um hinter der Zombiegeschichte herrschende Zustände sichtbar zu machen. Es lebe der Che Guevara der Untoten! www.berlinale.de
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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