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Rückblick: "Re-Education - You too can be like us"

Entdecke Dich selbst - Deutschland auf Identitätssuche Wer sich derzeit als Deutsche(r) in die Hauptstadt Berlin aufmacht und nach Jahren die österreichische Wahlheimat für eine Zeit verlässt, der konstatiert die vielschichtige Selbstbespiegelung der deutschen Nachbarn. Nach der Ausstellung "Made in Germany" in Hannover vom Vorjahr reflektiert die Berliner Theaterlandschaft die Bundesrepublik und ihre Geschichte. So will sich die Schaubühne am Lehniner Platz im Rahmen des zweijährigen Schwerpunkts "60 Jahre Deutschland" der eigenen ‚unbehaglichen Identität’ nähern. Jenseits der Fußball-Weltmeisterschaft, als die europäischen Nachbarn ein sympathisches Deutschland entdeckten und nach jahrelangem Dauerjammern und Wirtschaftskrise zu einer positiv besetzten neuen Identität verhalfen. Mitten in Berlin, in dem der Prenzlauer Berg in den Medien voreilig zur Projektionsfläche der Nation geriet, mit seiner kinderreichen Kreativszene, die schon längst in die neue Bürgerlichkeit gedriftet ist. Doch Deutschlands Vorzeigekiez entlarvt sich mit seinen G8-Bewohnern als vermeintlich international. Türkische MigrantInnen, Rütli-Schule, Pisa und Hartz IV liegen weit entfernt. Is Germany Incurable? Wer sind wir, was konstituiert unsere (deutsche) Identität? Nach Jahrzehnten der gesellschaftlichen Aufarbeitung der Shoa fokussieren die deutschen Kunstinstitutionen aktuell den Blick auf das Deutschland nach 1945, zuletzt am 18./19. Januar im Berliner HAU (Hebbel am Ufer) anlässlich des 100. Geburtstags des Theaters. Gemäß der Maxime "permanenter Überforderung" des Intendanten Matthias Lilienthal wurden parallel in allen drei Häusern des HAU Installationen, Filmretrospektiven, Performances, wissenschaftliche Vorträge und Podiumsdiskussionen lokaler wie internationaler ExpertInnen und KünstlerInnen präsentiert, darunter die AES Group, Uta Gerhardt, Pablo Helguera, Hassan Khan, Zeina Maasri, Thomas Tode, Christine Tohmé und Francesco Vezzoli. Das sorgfältig kuratierte transdisziplinäre Wochenende thematisierte unter dem Titel "Re-Education - You too can be like us" die demokratische Umerziehung der Deutschen durch die USA während der Nachkriegszeit. Die Basis der Umgestaltung lieferte die 1943 erschienene Publikation "Is Germany Incurable" des US-Psychiaters Richard Brickner, der unter der Einbeziehung namhafter Geisteswissenschaftler einen umfassenden wie wirksamen Plan entwickelte. Eine endlose Opferspirale? Im Kontext von Bild- und Kulturwissenschaften interessieren Filme wie "Lager des Grauens" oder "Todesmühlen" die die Deutschen während der Nachkriegszeit mit der Realität der Konzentrationslager konfrontierten. Mediale Bilderstrategien, die in den unterschiedlichen Besatzungszonen differierten, wie Harun Farocki nach der Präsentation seines Films "Aufschub" in einer Diskussionsrunde darlegte. Während der Befreiung der Konzentrationslager ließen die sowjetischen Filmer die Lagerinsassen eigens am Tor aufstellen, um den Rettern in Massen inszeniert entgegenzustürmen. Bilder, die sich in unserem Gedächtnis verankert haben sind auch jene der Leichenhaufen in Bergen-Belsen, die mit dem Ladebagger aufgetürmt wurden. Eine Bildpolitik, die die Opfer über den gewaltsamen Tod hinaus nicht aus ihrer Opferrolle entlässt. Medialer Bilderkrieg in seinen globalen Facetten Die Dankbarkeit für die amerikanische Umformung von der Diktatur zur Demokratie schlug nach dem Vietnam- über den Golfkrieg und die Ablehnung des Kyoto-Protokolls in anti-amerikanische Ressentiments um. "Gebt uns das gute Amerika zurück" titelte DIE ZEIT im Jahr 2006, eine Schlagzeile, die angesichts des heutigen US-amerikanischen Kulturimperialismus weit über Deutschland hinaus Bedeutung besitzt. Denn der gegenwärtige Kulturtransfer unter dem Deckmantel freiheitlicher Demokratie wie im Irak muss scheitern, setzt dieser doch zuerst die Kapitulation jenseits fragmentierter nationalstaatlicher Identitäten voraus. Und so warf die Kuratorin Stefanie Wenner den Blick neben der heutigen Bildpolitik der USA auch auf den Libanon, wo Bilder der Bürgerkriegsopfer gezielt für Propaganda politischer Interessensgruppen verwendet werden. Der libanesische Regisseur Rabih Mroué zeigte in seiner Performance "How Nancy Wished that Everything was an April Fool’s Joke Alternativen narrativer Modi, jenseits der singulären Wahrheit von Historie, die er in ihrer mythengetragenen Konstruiertheit in Frage stellte. Insbesondere durch den Blick auf Facetten heutiger Bilderpolitiken glückte das "Re-Education" Programm, indem Mikro- mit Makrogeschichte in Relation gesetzt wurde, besäße doch die Bespiegelung der nationalen Identität ohne die Reflektion der globalen Position keine Relevanz. HAU (Hebbel am Ufer) Berlin-Kreuzberg, 18./19. Januar 2008 www.hebbel-am-ufer.de
Mehr Texte von Claudia Marion Stemberger

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