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Le plaisir au dessin. Carte blanche à Jean-Luc Nancy: Das Wunder der Linie

Mit der Wortschöpfung "Déclosion" beschreibt der französische Meisterphilosoph Jean-Luc Nancy unseren Zugang zu dem, was wir Welt oder Wirklichkeit nennen. In einer gleichzeitigen Weiterentwicklung und damit auch Überwindung der "Dekonstruktion" seiner Kollegen, die wie eine von außen durch den Menschen herangetragene Aktivität funktioniert, nimmt die "Déclosion" diesen Aspekt zwar auf, erweitert ihn aber entscheidend in Richtung eines im Prozess der Aneignung selbst angesiedelten Vorgangs. Diese um die organische Entwicklung bereicherte Sichtweise ermöglicht als inwendige Möglichkeit unsere Zugänge zur Welt und macht sie zugleich als diese Ermöglichung wieder zunichte. Die Welt ist immer das, was gewesen sein wird. Wie kaum ein anderer Philosoph entwickelte Nancy seine Überlegungen in einem intensiven Austausch mit dem, was die Kunst anzubieten hat. Daher nimmt es kaum Wunder, dass er nun auch als Kurator auftritt und die beiden Bereiche in Form einer Ausstellung zusammenführt, quasi als Verlängerung seines bisherigen Mediums, dem Buch. Nancy geht dabei weder historisch noch thematisch vor, sondern möchte jene Bewegung zeigen, die jeder Zeichnung zugrunde liegt: das Vergnügen, die Freude, die Fröhlichkeit. Der zeichnerische Exzess peilt in dieser Bewegung keine harmonische Durchführung an, sondern erfüllt sich realistischerweise in der Freude am Wunsch. Man darf daher mit Nancy feststellen, dass "die Kunst als ein Inswerksetzen des Vergnügens am Wunsch" zu verstehen ist. In zehn Sektionen werden in der Ausstellung Kulminationspunkte der Zeichnung durchgespielt. Etwa die Linie als Spur, die Geste des Zeichners, die von einer zeichnenden zu einer gezeichneten Hand reicht, Körperlichkeit und Räumlichkeit ebenso wie die Ausweisung, dass die Form sich sucht und damit zur Aufrechterhaltung des Untragbaren zwischen Geburt und Tod oder gerade in Geburt und Tod beiträgt. Und als Gipfel wohl der Streit zwischen Zeichnung und Zweck, die im Französischen bloß durch ein "kleines e" getrennt sind (dessin - dessein), und auf den Matisse antwortet: "Man muss immer den Wunsch der Linie erforschen, jenen Punkt, an dem sie eintreten oder sterben will." So lehrt denn die Zeichnung überhaupt, welch wunderbare Welten man mit einer Linie, die es "in Wirklichkeit" gar nicht gibt, erschaffen kann.
Mehr Texte von Hartwig Bischof

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Le plaisir au dessin. Carte blanche à Jean-Luc Nancy
12.10.2007 - 14.01.2008

Musée des Beaux-arts de Lyon
69001 Lyon, Palais Saint-Pierre, 20, place des Terreaux
Tel: +33 - 4 72 10 17 40, Fax: +33 - 4 78 28 12 45
http://www.mairie-lyon.fr/fr/musees/cult_musee01.htm#3
Öffnungszeiten: täglich außer Dienstag 10.00-18.00 Uhr, Freitag 10.30-20.00 Uhr


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