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Markus Schinwald: Schinwalds Welt

Mehrfach war Markus Schinwald im Augarten schon zu Gast, jetzt gehört ihm die Raumfolge der Belvedere-Dependance ganz allein, und er bespielt sie mit großem Gestus. Das Ausgestellte aus jüngster Produktion zeigt sich als lineare Fortsetzung des Schinwaldschen Repertoires, in verschiedenen Medien, die mit fast ironisch anmutender Bravheit durchdekliniert werden. Den Auftakt liefert ein Vorhang; danach, in der Reihenfolge ihres Erscheinens: Malerei, Skulptur, Filmprojektion, Objektkunst; alles zusammen: Rauminstallation. Dass Schinwald noch im Bereich Grafik, Performance und Tanz arbeitet, sei hinzugefügt, aber alles lässt sich ja nicht ausstellen. Formal gibt es keine Überraschungen, einzig das weiße, konstruktive Balkensystem, das horizontal und vertikal die Räume in verschiedener Höhe durchzieht, durchbricht die mittlerweile bekannte Schinwaldsche Patina-Ästhetik, ist mal Hindernis, mal Sitzgelegenheit, mal freie Intervention, demonstriert aber jedenfalls den Willen zur Ausstellung als Gesamtkunstwerk. Wie sich diese Anleihe bei der klassischen Moderne (von Kiesler ist die Rede) zu den anderen Arbeiten verhalten soll, die doch eine ganz andere Stoßrichtung vorgeben, hängt ebenso in der Luft wie die Balken selbst, aber ein wenig Modernismus-Kritik kann ja nie schaden heutzutage. Ansonsten die Pervertierungen und Metamorphosen, für die Schinwald bekannt geworden ist: gemalte Menschen aus dem 19. Jahrhundert, deren hinzugemalte Auswüchse wohl so etwas wie innere Versehrtheit nach außen kehren sollen; Skulpturen aus Tischbeinen auf furniertem Sockel, die (wieder einmal) klassisch-akademische Bildhauerei ironisieren; ganz hinten eine von Schinwalds gehandicapten Marionetten auf motorbetriebener Schaukel hoch über den Besucherköpfen. Im Zentrum auf prekär platziertem Screen der Film "Ten in Love" (2006), farblose, zivilisationsgeschädigte Figuren, in sinnlose Handlungen und verkrampfte Zwischenmenschlichkeiten verstrickt, alles in Günther Domenigs Mehrzwecksaal für die Grazer Schulschwestern (1977), der das Pech hatte, ästhetisch ins Konzept zu passen. Die durchdringende Tonspur, die den Tenor für die ganze Ausstellung vorgibt: ein enervierender Sound, zwischen sphärisch und dröhnend, und ein von bedeutungsschwerer Männerstimme vorgetragener Text, der sich schwer poetisch gibt ("the air is cold, but the earth is colder"), teils verdoppelt, was ohnehin überdeutlich ist ("gestures mask intention"), teils sich in einer kunstvoll-verquasten Unverständlichkeit gefällt, die reine Pose ist, aber mächtig Stimmung produziert. Unheimlich soll uns werden. "Der Schlüssel dazu ist das nicht genau Definierte. Das ist unbehaglich, besonders bei Stereotypen, die man zu kennen glaubt", gab Schinwald der Kunstzeitung einmal zu Protokoll. Das nicht genau Definierte wird bei Schinwald selbst zum Stereotyp. Das Unbestimmte, Vage, Offene, unentbehrlich als Potential und Privileg von Kunst, wird hier zum Strickmuster. So sieht Kunst aus, die aussehen soll wie Kunst, oder besser Hochkunst. Bei kaum jemandem lässt sich so gut studieren, welche Zutaten dafür erfolgversprechend sind: hinreichend diffus bleiben im Inhalt, aber große Themen antippen (Fachbereich: conditio humana), möglichst viele Referenzen durchscheinen lassen (oder gleich publizieren, wie im vorliegenden Fall), alles unter Beiziehung von Fachkräften in ein stimmiges Erscheinungsbild packen, zwecks ästhetischer Distanz, Bekömmlichkeit und Wiedererkennungswert, bei gleichzeitig maximaler Flexibilität der medialen Umsetzung. Das ist alles nicht kritisierbar, solange man spürt, dass der Künstler mit uns etwas Interessantes vorhat. Bei Schinwald hingegen geht nichts über Schinwald hinaus, kein Projekt ist erkennbar, nur Stimmungen, die uns aufgedrängt werden und auf denen wir sitzen bleiben. Die Publikation zur Ausstellung ist nur für Fans zu empfehlen. Einziger Inhalt: 92 kurze Artikel, jeweils einer Abbildung gegenübergestellt, 92 Begriffe, die Schinwalds "künstlerischen Kosmos" (Pressetext) abstecken sollen. So lässt sich bequem der Reichtum eines Werks behaupten, ohne ein einziges Wort über Qualitäten verlieren zu müssen. Aber vielleicht sieht man sich dieser Aufgabe ja enthoben durch Schinwalds durchschlagenden Markt- und Ausstellungserfolg.
Mehr Texte von Rolf Wienkötter

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Markus Schinwald
10.10.2007 - 27.01.2008

Augarten Contemporary
1020 Wien, Scherzergasse 1a
https://www.erstestiftung.org/de/events/kyjiw-bienniale-2023/
Öffnungszeiten: Mi - So 12-18 h


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